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Führerlose Sommerklassik

„Academy of St. Martin in the Fields“ gastiert zum MDR-Musiksommer

Nicht allzuoft macht der MDR Musiksommer in diesem Jahr auf seiner musikalischen Reise durch die drei vom Sender zu versorgenden Bundesländer in Dresden Station. Ein Gastspiel der „Academy of St. Martin in the Fields“, ein vor allem durch seine über 500 Schallplatten- und CD-Aufnahmen weltweit bekanntes Kammerorchester, sorgte am Sonnabend für eine voll besetzte Frauenkirche. Das 1958 gegründete Londoner Orchester begründet seinen Ruf mit Aufführungen von Musik aus Barock und Wiener Klassik. Weniger als auf einzelne exzellente Interpretationen ist die Bekanntheit wohl auf die exzessive Tonträgerverbreitung zurückzuführen. Nachdem es im letzten Jahrzehnt stiller um die Academy wurde, scheint es jetzt neue Impulse zu geben: Projekte mit dem Pianisten Murray Perahia, der Sopranistin Kate Royal oder Paul McCartneys „Ecce cor meum“ zeugen von einer moderneren Profilierung der Academy. Ob diese auch im Konzerterlebnis Spuren hinterlässt, davon würde man sich beim Gastspiel überzeugen können – wenngleich der Konzertuntertitel „Sommerklassik“ einen gewisse musikalische und interpretatorische Ansprüche stellenden Zuhörer schon im Voraus zu Stirnrunzeln verleitete. Leoš Janáčeks Suite für Streichorchester, ein recht harmlos-gefälliges Frühwerk des Komponisten ordnete sich unter dem Begriff auch problemlos ein; das Ensemble spielte makellos und dynamisch gut abgestuft. Einen anderen Grund als eben „Sommerklassik“ darzubieten, gab es für dieses Werk kaum: Janáček selbst lehnte es später ab und einige Sätze haben gerade noch den Charakter einer netten Orchestrierungsübung. Die Academy gastierte übrigens dirigentenlos, zwar war der Geiger Kenneth Sillito als Leiter angegeben, der saß aber am Konzertmeisterpult und hatte offenbar anderes zu tun als das Orchester zusammenzuhalten, was sich spätestens bei Béla Bartóks „Divertimento“ als fatal erwies. Robert Planels 1966 entstandenes Trompetenkonzert erwies sich vor der Pause als unerträglicher Stilkopienmix in Richtung einer seichten Unterhaltungsmusik, die eine Aufführung des Werkes kaum noch rechtfertigt – wäre da nicht der sich vom Orchestersatz abkoppelnde, empfundene Solopart, der im Konzert zudem von einem Weltklasse-Solisten übernommen wurde. Håkan Hardenberger schien äußerst dankbar für die trompetenfreundliche Akustik der Kirche zu sein und entwickelte auf seinem Instrument einen unglaublich singenden, vollends durchgestalteten Klang, allein die Dur-Heiterkeit und schlecht kopierte Gershwin-Harmonik des Streicherparts im Hintergrund störte massiv. Hier waren auch schon erste Uneinigkeiten im Rund der Streicher zu bemerken. Im 3. Satz war Hardenberger trotz schöner Klangfärbung einige Male ein etwas starr wirkendes Spiel anzumerken. Die konsequente Bemühung um die absolute Reinheit und Gestaltung des Tones war staunenswert, sie dürfte aber nicht ausschließlich an erster Stelle stehen, sonst ginge einer Interpretation Lebendigkeit verloren. Nach der Pause erklang Felix Mendelssohn-Bartholdys vor Ideen und Vitalität sprühendem frühes d-Moll-Violinkonzert, und man erwartete einen ähnlich zauberhaften Höhenflug wie im vorangegangenen Trompetenkonzert. Konzertmeister Kenneth Sillito nahm nun den Platz des Solisten ein, ließ das Orchester damit vollends führerlos zurück und entsetzte durch eine nur blamabel zu nennende Darstellung des Konzertes, bei der katastrophale Intonation und eine mangelhafte, nervös-flüchtige Bogenführung den Zuhörer ratlos und zugleich angstvoll vor der jeweils nächsten Solophrase zurückließen. Das Ensemble spielte dabei kaum irritiert mit, wirkte aber eben auch wenig motiviert. Zurück im Orchester wirkte das Orchester mit Sillito im abschließenden Bartók-Werk kaum überzeugender, da in den zahlreichen Soli-Passagen die Intonation nicht besser wurde. Bei aller Respektsbezeugung vor der Entscheidung, Werke im Vertrauen auf Musikerohr und Kenntnis der Stücke ohne Dirigent aufzuführen: wenn es nicht funktioniert, sollte man es lassen, zumal ein Dirigent weitaus mehr beitragen kann und soll als die simple Organisation der Stücke. Die romantisierend und ohne Schärfe musizierten Ecksätze im Divertimento schienen ohne Kenntnis des Werkhintergrundes als „Sommerklassik“ missinterpretiert, allenfalls der zweite Satz gefiel mit recht ordentlicher Klangintensität. Ein freundlicher Gruß von Leoš Janáček und das herausragende Spiel des Solisten Håkan Hardenberger verbleiben als positive Eindrücke dieses Konzertes, was angesichts der Historie der „Academy“ schlicht enttäuschend ist.

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Veröffentlicht in Rezensionen

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