Sir Colin Davis und das Gustav Mahler Jugendorchester in der Semperoper
Es ist ein Geschenk für einen jungen Musiker, in einem der besten Jugendorchester Europas, wenn nicht gar der Welt mitspielen zu dürfen. Hat man sich beim Gustav Mahler Jugendorchester diese Möglichkeit durch Erfüllung der harten Aufnahmekriterien einmal erarbeitet, so ist die Erfahrung der Mitwirkung an einem der Projekte des Orchesters sicherlich prägend für die weitere Entwicklung, denn eine jede Projektphase ist einzigartig: weder im Alltag einer Hochschule noch im späteren Berufsleben, möglicherweise in einem Profiorchester, gelingt eine solch hochklassige, intensive Arbeit an einem Konzertprogramm erneut, davon kann man angesichts der schnellebigen Zeit und der engen Terminpläne von Musikern heutzutage ausgehen. Man darf sogar durchaus nachdenklich werden, wenn man erstaunt feststellt, dass manche Interpretationen dieses Jugendorchesters Referenzaufnahmen oder Konzertdarbietungen der „Profis“ mühelos in den Schatten stellen. Noch staunenswerter wird dieser Umstand, wenn man bedenkt, dass sich dieses Orchester in der Besetzung ständig auswechselt, aber vielleicht liegt genau darin auch der Reiz: das Unmögliche möglich machen, einmal für die Musik alles geben. So war es auch am Sonntag im Semperbau. Zur Eröffnung der neuen Konzertsaison der Sächsischen Staatskapelle gastierte das Gustav Mahler Jugendorchester unter Leitung von keinem geringeren als dem Ehrendirigenten der Kapelle, Sir Colin Davis. Der junge aufstrebende Geiger Nikolaj Znaider war der Solist in Ludwig van Beethovens Violinkonzert D-Dur, Opus 61. Schon die sorgfältig modellierte Exposition des 1. Satzes ließ Großes erahnen, Znaider selbst tauchte mit dem Solopart wie aus dem Nichts auf und empfing den Zuhörer gleich mit einem sicher geführten, romantisch empfundenen Ton. Dieser Lyrismus zog sich durch alle drei Sätze und wurde von Znaider nur selten mit Dramatik versehen, wenn doch, dann war wie in der Kadenz des letzten Satzes jederzeit überlegene Kontrolle über jeden Strich, jeden Ton spürbar. Dies ergab gemeinsam mit dem tadellos begleitenden Orchester eine nahezu perfekte Interpretation, die aber niemals glatt wirkte. Im zweiten Satz berührte Znaider die unteren Tempogrenzen mehrfach, doch die beibehaltene starke Ausgestaltung der Melodiephrasen ließ nie den Fluss stocken. Dieser konsequente sanft-samtige Charakter der Interpretation war eine überraschende Ausdeutung des Konzertes und gelang überzeugend. Nordisch ging es nach der Pause weiter, die 2. Sinfonie D-Dur von Jean Sibelius ist nicht unbedingt als „Klassiker“ auf den Programmen zu finden – in der zerklüfteten, melancholischen und erst am Ende von strahlendem Licht durchzogenen Partitur muss man die zahlreichen klanglichen Schönheiten erst zum Leben erwecken. Sir Colin Davis dirigierte das Werk nicht, er zelebrierte es, und das ging mächtig unter die Haut. Immer wieder spornte er das Orchester zu kraftvollen Steigerungen an und beflügelte vor allem den großen Legato-Atem der strömenden Melodien. Man wusste kaum, wohin man zuerst sein staunendes Ohr halten sollte: zum vollkommen satt und voluminös erzeugten Streicherklang, zum perfekt ausgehörten Blechbläsersatz oder zu den souveränen Holzbläsersoli. Hier stimmte einfach alles, und Davis schaffte es, mit den Musikern die kantige Form des Werkes bis zur Schlussapotheose unter enormer Spannung zu halten. Die völlige Verausgabung in dieser Aufführung war ihm beim donnernden Schlussapplaus anzumerken – wenn Musik zu so einem lebendigen, tiefgehenden Erlebnis wird, dankt man es ihm und dem Orchester gerne lautstark.
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