„Das Buch mit sieben Siegeln“ von Franz Schmidt erklang im Frauenkirchen-Konzert der Staatskapelle
Deutlich mehr Zuhörer hätten es schon sein dürfen anlässlich der gewaltigen, seltenen Aufführung des Oratoriums „Das Buch mit sieben Siegeln“ von Franz Schmidt durch die Staatskapelle Dresden, die das Werk am Vorabend des traditionellen Palmsonntagskonzertes in der Frauenkirche erstmalig vorstellte. GMD Fabio Luisi hat sich in Konzerten der Wiener Symphoniker und beim MDR als Experte und Förderer der Musik des österreichischen Spätromantikers Schmidt längst einen Namen gemacht. Obwohl Luisi selbst das „Buch mit sieben Siegeln“ als das „wahrscheinlich wichtigste Oratorium des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet, sind Aufführungen des 1938 uraufgeführten Werkes rar. Das liegt vermutlich an dem außerordentlich hohen Anspruch, der in Schmidts „opus summum“ durch alle Partien und Teile weht: man muss nahezu bis zu Bach zurückgehen, um eine vergleichbare meisterschaftliche Verquickung von Dramaturgie, Harmonik, Themenvielfalt und -deutung im oratorischen Genre zu finden. Und so wurden die Zuhörer über zwei Stunden in den Bann der biblischen Apokalypse gezogen und erfreuten sich an musikalischer Hochspannung und einer hervorragenden Interpretation des Werkes. Vorneweg ist aber dem Staatsopernchor (Einstudierung: Ulrich Paetzholdt) ein außerordentliches Lob zu zollen: den Sängern gelangen die gefürchteten Fugen des Werkes in nahezu erschreckend optimaler Klangbalance. Die ganze Aufführung war getragen von intensiver sprachlicher Arbeit des Chores, die dann dazu dienlich war, die verschlungenen kontrapunktischen Linien etwa der „Wasser-Fuge“ glasklar zu gestalten. Zudem versiegte nie die Kraft des Ensembles, so dass am Ende des zweiten Teils der riesenhafte, homophone Halleluja-Chor wie ein herausgeschleuderter Akt der Befreiung durch die ganze Kirche rauschte. Immer wieder arbeitete Luisi zahlreiche kleine Gesten und kompositorische Finessen heraus: die an Strauss‘ „Salome“ erinnernde Mystik in der Begleitung der „Stimme des Herrn“ (Jan-Hendrik Rootering mit faszinierend strömendem Bass von der Orgelempore) trug ebenso zum dramaturgisch überzeugenden Verlauf bei wie die Reiter-Musiken mit scharfen rhythmischen Akzenten oder die in deutlich modernere musikalische Welten weisenden Posaunen-Kommentare im Jüngsten Gericht. Luisi kostete einige Ruhepunkte des Werkes, etwa das lyrische Mutter-Tochter-Duett oder die Johannes-Erzählung am Beginn des 2. Teils behutsam aus, auch um Weissagung, brutale Realität und hoffenden Neubeginn als tragende Säulen des Werkes voneinander abzugrenzen. Diese interpretatorischen Kontraste gelangen vortrefflich; Luisis Tempi waren immer von der Plastizität der Musik bestimmt und überschritten selbst in apokalyptisch brutalen Darstellungen nicht die Grenzen der Machbarkeit. Herbert Lippert war eine interessante Besetzung für die umfangreiche Johannes-Partie. Sein warm fließender, berührender Tenor hatte genau die richtige Darstellungskraft, um Anteilnahme und berichtende Distanz zu formen. Nach all den Erdbeben und Sintfluten kehrte man am Ende des Werke sich nahezu geborgen fühlend zu ihm zurück: „Hört auf meine Worte! Sie sind wahr und zuverlässig“. Verschiedene kleinere Rollen füllte das hochrangig besetzte Solistenquartett mit Annette Dasch (Sopran), Antigone Papoulkas (Mezzo), dem kurzfristig eingesprungenen Tenor Timothy Oliver und Michael Eder (Bass) sehr souverän aus. Jobst Schneiderat an der Orgel der Frauenkirche gestaltete die wichtigen Intermezzi mit feiner und nicht überbordender Registrierung. Das große Vermächtnis des hierzulande noch viel zu unbekannten Komponisten erklang in einer exemplarischen, qualitativ absolut hochrangigen und durch Fabio Luisis charismatisches Dirigat auch emotional mitreißenden Darstellung.
Ein Kommentar