Tschaikowsky und Mahler im Zykluskonzert
Im letzten Zykluskonzert der Dresdner Philharmonie standen zwei große Werke der Romantik auf dem Programm, die so hinreichend bekannt und eingespielt sind, dass man einige Erwartung an die Interpretationen stellen durfte. Peter Tschaikowskys Violinkonzert D-Dur ist nicht ganz so häufig zu hören wie etwa das Brahms-Konzert, aber kaum einer der großen Geiger hat es in seinem Konzertrepertoire nicht berücksichtigt. Lyrischer Ton und souveräde Virtuosität sind hier gleichermaßen gefragt. Die junge Geigerin Baiba Skride hat sich in der Musikwelt schon einen außerordentlichen Ruf erarbeitet. Die in Deutschland ausgebildete Lettin stellte allerdings eine Darstellung des Konzertes vor, die den Zuhörer am Ende ratlos zurückließ. Dabei ist Eigenwilligkeit in einer Interpretation gar nicht zu bemängeln, wenn diese das Hören bereichert und neue Ebenen hinzufügt. Wenn aber die Interpretenphantasie solche Blüten treibt, dass die Partitur, die Takt, Tempo, Phrasierung und vieles mehr vorgibt, kaum mehr Beachtung findet, so befindet man sich an einer gefährlichen Kante des Interpretentums. Skride wollte Tschaikowskys Konzert neu erfinden und schoss dabei über mehrere Grenzen hinaus: Chefdirigent Rafael Frühbeck de Burgos war nicht zu beneiden, das Orchester nach jede Solophrase wieder zurück in die geordneten Tempo-Bahnen des Werkes zu führen. Stellenweise hatte man das Gefühl, Solistin und Orchester spielten zwei verschiedene Stücke. Skride buchstabierte bereits das Hauptthema des 1. Satzes und phrasierte zumeist recht geradlinig. Eine Ausnahme war allerdings die Kadenz im 1. Satz, die sie mit schönem Ton gestaltete. Dafür enttäuschte der 2. Satz – von einer „Canzonetta“ war dieses Tempo-Trauerspiel, bei dem Skride einige Male die Musik bis zum Stillstand zerdehnte, meilenweit entfernt. Den 3. Satz beherrschten wiederum extreme Welten: entweder jagte Skride vorwärts, um virtuose Passagen möglichst effektvoll (aber leier auch nicht immer perfekt ausgeführt) über die Rampe zu bringen oder sie bremste den Satz zu energisch ab. Jederzeit bot die Philharmonie eine hochaufmerksame und saubere Leistung in der Begleitung. Baiba Skride hatte auch mit einer wenig artikulierten Bach-Zugabe kein Glück an diesem Abend. Nach der Pause machte das 9. Zyklus-Konzert dann jedoch große Freude – und das ausgerechnet in der Musik Gustav Mahlers, die sicher keine leichte Kost ist und im Zusammenspiel gut ausgehört sein will. Doch wie Frühbeck de Burgos auswendig den großen Apparat motivierte und zu immer neuen Höhepunkten mitriss, ohne seine Gesamtkonzeption aus dem Auge zu verlieren, das war bewundernswert. Den ersten Satz mit den Naturlauten gestaltete er maßvoll, wie überhaupt die 1. Sinfonie für Frühbeck de Burgos noch keinerlei Anlass zur Darstellung von Dramatik und Seelenabgründen bietet. Frühbeck de Burgos fand für alle Sätze federnde Tempi, die als Basis für jedes Aufschwingen oder Beruhigen geeignet waren. Das instrumentale Singen und Erzählen ist in dieser Sinfonie gefragt, es ist Musik aus der Natur und in die Natur hinein. Die zahllosen Bilder und Geschichten spielte das Orchester mit sichtbarer Spielfreude und folgte jeder Geste des Chefdirigenten. Viele dynamische Farben waren so im 3. Satz (mit subtilem Kontrabass-Solo zu Beginn) zu beobachten. Das Finale darf triumphal klingen: Frühbeck ordnete dem Satz bis zum Ende einen vorwärtsdrängenden Schwung zu, so kam man gottlob niemals in die Nähe von platter Hymnik. Gleich ob es ein leiser Streicherteppich war oder ein volltönend-homogener Hörnersatz – diese Mahler-Interpretation überzeugte im vom Beginn an demonstrierten Anspruch des spannungsvollen Ausmusizierens – die Philharmonie präsentierte sich in Bestform.
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