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Spannende Erstaufführung

„Mailänder Vesperpsalmen“ von Johann Christian Bach erklangen in der Frauenkirche (Rezension vom 9.8.09)

Dass man mitten im Sommer in der Dresdner Frauenkirche einer deutschen Erstaufführung eines klassischen Werkes beiwohnen kann, ist schon ungewöhnlich. Dass das dargebotene Stück gut 250 Jahre alt ist, bedarf ebenfalls einer Erklärung. Die erste Antwort ist simpel und erfreulich: die Frauenkirche „spielt durch“, denn die sonnabendlich stattfindenden Konzerte im Kirchraum kennen keine Sommerpause. So kann man einige spannende Gastspiele erleben, am 15. August gastieren etwa die MDR-Klangkörper mit einem Händel-Programm anlässlich des MDR-Musiksommers. Am vergangenen Sonnabend war der Süddeutsche Kammerchor zu Gast. Gemeinsam mit dem ECHO-ausgezeichneten „Concerto Köln“ wurden die „Mailänder Vesperpsalmen“ von Johann Christian Bach zur Deutschen Erstaufführung gebracht. Man möchte meinen, dass die Musik unserer Vorfahren nunmehr erschlossen und aufführbar sei, doch solche Aufführungen lehren uns, dass in vielen Bibliotheken und Sammlungen der Welt noch musikalische Schätze lagern. Die Vesperpsalmen gelangten (wie auch zahlreiche andere Beispiele norditalienischer Musik dieser Zeit) in einer Abschrift über eine Schule in Bellinzona in die Klosterbibliothek Einsiedeln in der Schweiz. Vier erhaltene Psalmen wurden eigens für die Aufführungsreihe des Süddeutschen Kammerchors ediert und diese bildet nun einen wichtigen Baustein in der Rezeption dieses Komponisten.
Im November werden die Psalmen in der Heimat des Chores, bei den Fränkischen Musiktagen in und um Alzenau, erklingen und sollen dann auch auf CD aufgenommen werden. Somit war die Erstaufführung ein Geschenk für die Dresdner, und was 1760 im Mailänder Dom als Bestandteil der Kirchenvesper erklang, erlebte nun in der Frauenkirche seine konzertante Wiedergeburt. Dabei war interessant festzustellen, dass sich der jüngste Bach-Sohn, der aufgrund seiner Wirkungsstätten auch „Mailänder“ oder „Londoner“ Bach genannt wird, wohl kaum um die Akustik „seines“ Domes scherte, die um einiges schwieriger als die Dresdner Akustik sein dürfte. Bach huldigte vor allem dem Geschmack der Zeit und integrierte den recht weltlichen Opernstil des Belcanto-Landes auf selbstverständliche Weise in seine Psalmen. Für den Zuhörer heute manifestiert sich dies in hochvirtuosen Partien der vier Gesangssolisten. Das Orchester hat kaum tragende Aufgaben, aber jede Menge Ornamentik, der Chor spielt bei Bach allenfalls die Rolle des Bedeutungsverstärkers und rundet die Psalmen nur selten mit einem kurzen Fugato ab. Zwischen dem stark antiphonalen „Domine ad adjuvandum“ und dem fast mozartesken „Beatus Vir“ bestehen spürbare Entwicklungsschritte des Komponisten. Die vitale und kundige Interpretation der Musiker hob die Besonderheiten der Stücke denn auch gut hervor. Tadellos war die Leistung des Orchesters, lediglich das Continuo hätte gern als stärkeres Fundament auftreten dürfen. Bläser und Streicher boten ein geschlossenes Klangbild, störend wirkte ein oftmals nicht „geatmete“ Einsatz der Orgel in den Kadenzen der Sänger. Das Quartett hatte eine sängerische Höchstleistung zu absolvieren: Joanne Lunn (Sopran) gestaltete zwar etwas geradlinig, wusste aber mit ihrem warmen Timbre zu begeistern, Thomas E. Bauer (Bass) wirkte solide, der Tenor Georg Poplutz gestaltete seine Partie so leidenschaftlich aus, dass man sich in seinen Arien besonders aufgehoben fühlte. Elena Biscuola (Alt) konnte sich noch nicht vom Notentext lösen und daher ihre an sich wohltönende Stimme nicht zu einer überzeugenden Interpretation führen. Der mit 18 Stimmen klein besetzte Süddeutsche Kammerchor überzeugte in den knappen Chorsätzen mit homogener Klangentfaltung, hätte aber durchaus extremer artikulieren dürfen. Dirigent Gerhard Jenemann fand stets vitale Tempi für die Psalmen; das finale Fugato des „Confitebor“ war aber eine von vielen Nummern, die mehr Ruhe zugunsten einer deutlicher konturierten Aussage vertragen würden. Die immer ähnlich schnell angelegten festlichen Sätze erhalten ihre Kraft vor allem durch ein flexibles Dirigat, das konnte Jenemann nicht immer einlösen. Auch auf der dynamischen Ebene wäre eine größere Palette in der Kirche möglich gewesen, die den Zugang zu den an sich sehr spannenden Stücken noch erleichtert hätte.

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