Zum Inhalt springen →

Polterabend in der Frauenkirche

Veronique Gens und das Balthasar-Neumann-Ensemble

Eine musikalische Horizonterweiterung kann erleben, wer einmal ein Konzert des in Freiburg beheimateten Balthasar-Neumann-Ensembles, von seinem Leiter Thomas Hengelbrock 1995 gegründet, besucht. Am vergangenen Sonnabend konnten die Besucher der Frauenkirche sich vom Klang der versierten Barockmusiker überzeugen, obwohl im Programm eher der Sturm und Drang der frühen Wiener Klassik vorherrschte.

Dem designierten Leiter des NDR-Sinfonieorchesters Thomas Hengelbrock sieht man seine vielen Verpflichtungen überhaupt nicht an. Das Rezept von Dirigent und Ensemble ist die flammende Leidenschaft für die Musik. Weder trockene Theorien der Aufführungspraxis noch autokratische Egomanie vom Dirigentenpult bestimmen das Musikerlebnis. Es ist eine exzellente Mischung, die sich live und nachvollziehbar generiert: die Zutaten sind seriöses, gemeinsames und engagiertes Musizieren mit dem Wissen um die Materie, aber auch mit einer gehörigen Portion Herz.

Bloß eine Haydn-Sinfonie zu Beginn? – Nein, wir haben im Jubiläumsjahr des großen Komponisten in vielfacher Weise gelernt, wie spannend jede einzelne Sinfonie ist, wie viel es auch noch in der Kammermusik oder im Opernbereich von Haydn zu entdecken gilt. Und so macht sich Hengelbrock ans Werk, als ob er mit der 56. Sinfonie C-Dur eine Uraufführung vor sich hätte: muntere Trompetenstöße und markante dynamische Kontraste bestimmten ersten Satz, ein höchst lyrisch-empfindsamer Ruhepunkt folgt im Adagio. Der Klang des Ensembles ist weich und rund, mehr als auf kalte Präzision setzen die Musiker auf volumenreiche Tongestaltung in jeder Phrase. Überraschend ist, dass Hengelbrock mit einer eigenwilligen Aufstellung (die hinteren Pulte der Streicher spielen im Stehen) eine akustische Verbesserung in der heiklen Frauenkirche erzielt. Die tellerartige Anordnung führt zu einem silbrigen, transparenteren Streicherklang. Davon haben nur leider die Bläser nichts, deren aufmerksames Spiel dennoch im Kirchenrund zu schnell verschwindet.

Die französische Sopranistin Véronique Gens gestaltete den Solopart in Haydns „Scena di Berenice“ (übrigens eine der avanciertesten und effektvollsten Partituren des Komponisten), zeigte aber nur in der Schlusskoloratur wirklich ihre große, nuancenreiche Stimme und wirkte für die Dramatik des Textes leider zu zurückhaltend. Ihre fast privat zu nennende Stimmführung war dann aber für die Vokallinie des „Salve Regina“ von Domenico Scarlatti angebracht und überzeugend. Gens packte den Zuhörer durch ihren warmes Sopran-Timbre, das in der Mittellage erdige Farben aufweist. Mühelos würde sie den Raum mit Klang ausfüllen – aber genau dort sparte sie, beließ Scarlattis Spätwerk in bescheidener Intimität statt in spanisch-italienischer Grandezza und wirkte nicht in allen Passagen so locker und frei wie die hinter ihr leichtfüßig agierenden Streicher.

Dass Wolfgang Amadeus Mozart die Auftragskompositionen oft „kurz vor knapp“ aus der Feder flossen, ist bekannt. Dass er für den Mäzen Sigmund Haffner einen ganzen Polterabend musikalische illustrierte, wohl weniger. Resultat (und Zweitverwertung) daraus ist die „Haffner-Sinfonie“, die Hengelbrock mit dem Balthasar-Neumann-Ensemble zum Abschluss hinreißend lebendig und dennoch niemals überstürzt musizierte. Ein überzeugender, rassiger Konzertabend ging so zu Ende.

CD-Tipp:

Tragédiennes 2 – Von Gluck zu Berlioz, mit Les Talens Lyriques / Christophe Rousset (Virgin, 2009)

image_pdf

Veröffentlicht in Rezensionen

Ein Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert