Heiner Goebbels Theaterabend „Stifters Dinge“ in Hellerau
Er war zu seinen Zeiten nicht unbedingt der erfolgreichste und angesehenste Schriftsteller, auch nicht der, dessen Werke weit in die Gegenwart strahlen. Doch kennen Leser die rätselhafte Faszination, die die Werke des österreichischen Schriftstellers Adalbert Stifter ausübt: da sind die Figuren, die oft wie sorgsam gezeichnete Statuen die Romane bevölkern, da ist der oft gelassene Umgang mit der erlebten Zeit. Es entstehen Augenblickshaltungen, die innehalten lassen und die Betrachtung intensivieren. An dieser Stelle tritt der Komponist Heiner Goebbels auf den Plan.
Goebbels und Stifter nehmen sich an die Hand und gehen in den Wald. Was dabei herauskommt, war am Donnerstagabend im Festspielhaus Hellerau zu bewundern. „Stifters Dinge“ kommen ohne Musiker aus, ohne Schauspieler und Sänger – allerdings formt immer noch ein Komponist den zeitlichen Ablauf der Naturalia und Erscheinungen, der verbalen und akustischen Ereignisse. Ganz dem Zufall oder sich selbst überlassen möchte auch Goebbels seine Installation nicht. Und dafür gibt es gute Gründe der Dramaturgie.
Bald schon flutet sich der Wald, spiegeln sich die Wasserflächen und Licht und Wind treten auf natürliche Weise hinzu. Klänge und Geräusche erscheinen und ein Organismus mit eigenen Gesetzen setzt sich in Gang, der sich keiner Mode anbiedert, der nicht modern oder in irgendeiner Weise „zeitgenössisch“ sein will. Die unverkrampfte, ehrliche Sicht auf die Dinge wird zwar mit erheblichem technischen Aufwand entwickelt, aber hier ist Goebbels mit ähnlicher Konsequenz gesegnet wie der Heimwerker, der im Keller ein Fluggerät baut und schlussendlich tatsächlich damit davonfliegt: Solche Märchen braucht die Welt. D
as Publikum auf der Tribüne wird indes zum Kind und lernt das Staunen neu. Was Goebbels kreiert, ist eine Art von reiner, unverstellter Kunst, und das gelingt, weil sowohl der emotionale Zugang als auch der geistige stets in freundlicher Weise offen gehalten wird. Bilder, Töne und Bewegungen erstellen etwas neues, als sei man gerade in das funkelnde, sprießende Gehirn des Künstlers eingestiegen. Und Goebbels entdeckt auch abseits von Stifter viele Türen und Sandwege. So abenteuerlich diese Expedition in die Welt der Dinge auch ist, und so fremd auch zunächst das „Ungetüm“ einer Bühneninstallation aus fünf ineinander verbauten und verkabelten Klavieren scheinen mag, so nah geraten uns „Stifters Dinge“ in den Empfindungen – von Sanftmütigkeit ist der Ernst und die Ruhe, die Goebbels aufbaut. Die Wasserfläche klingt elektronisch nach, und die leise Klaviermusik im plätschernden Regen meint man schon immer gekannt zu haben.
Wenn die Waldsinfonie aus Ästen und Saiten sich dann auf den Zuhörer hin bewegt und alle Klaviere wie von Geisterhand ein Eigenleben entwickeln, sitzt man starr und überwältigt. Fragen nach Technik und Sinn stellen sich erst gar nicht, denn Goebbels Bilder greifen tief und am Ende wundert man sich, dass man dem Wald der poetischen Bilder entronnen ist. Dass Claude Lévi-Strauss sich ebenso einmischen darf wie Gesänge ferner Kulturen, erscheint nicht nur logisch, sondern steht für das sensible Spiel, das Goebbels genau auf der einsamen Insel zwischen Natur und Kultur, Literatur, Theater und Musik ansiedelt und das an diesem Abend vollkommen verzaubert. Schließlich gelingt sogar der Bogen zum Beginn des „TonLagen“-Festivals: an diesem dampfenden und sirrenden Orchestrion hätte Mauricio Kagel seine helle Freude gehabt.
Mit dieser Aufführung und einer Abschlussparty am vergangenen Sonnabend wurde das „TonLagen“-Festival beendet.
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