Am Morgen des Pfingstmontages begaben sich die Zuhörer des Musikfestspielkonzertes in der Semperoper auf eine Reise in die wohl authentischsten Klangwelten Russlands. Denn ähnlich wie das deutsche Kunstlied mehrere Epochen der Musik geprägt und entwickelt hat, ist die russische Romanze eine eigene Kunstform, die sogar bis in die Gegenwart von Sängern und Komponisten gepflegt wird. Unzählige Romanzen wurden im 19. Jahrhundert gedichtet und vertont, Liebeswonne, -leid und intimster Klagegesang bilden darin eine Einheit und schwingen sich in den Kompositionen von Tschaikowsky und Rachmaninov zu höchster Meisterschaft auf.
Bereits vor vier Jahren hat der große Cellist Mischa Maisky einige dieser Romanzen eingespielt, er widmete sich ihnen auch im ersten Teil seines Konzertes in der Semperoper. Flüssige Übergänge zwischen den einzelnen Stücken schufen quasi ein großes russisches Liebeslied mit vielen Strophen und Facetten, wobei Maisky jedes Lied behandelte, als ginge es um sein persönliches Schicksal, das mit zumeist ersterbenden Schlußtönen seine Besiegelung fand. In atemberaubender Schlichtheit gestaltete Maisky die zarten Anfänge vor den oft gewaltigen Steigerungen in den Mittelteilen der Romanzen, so dass man trotz fehlender Texte die jeweiligen Gefühlswelten direkt von den von Maisky extremst gestalteten Tönen abnehmen konnte, es waren eben „Lieder ohne Worte“ par excellence.
Am Klavier begleitete seine Tochter Lily kundig und aufmerksam, aber manchmal zu farblos, das änderte sich auch bei den pianistisch anspruchsvolleren Rachmaninov-Romanzen nur wenig. Mischa Maisky hingegen steigerte sich hier zu intensivster Klangmodellierung und ließ die Elegie, Opus 3/1 vor der Pause zum Höhepunkt werden.
Ein einziges Werk stand danach auf dem Programm: Dmitri Schostakowitschs Cellosonate d-Moll erhielt schon allein eine spannende Qualität durch die Nachbarschaft zu den Romanzen. Maisky wurde denn auch nicht müde, die melodischen Linien mit unbändiger Kraft des Bogens auszusingen. Allerdings legte sich die Dominanz der Interpretation oft so stark über die Partitur, dass – verbunden mit etlichen zum Teil unerklärlichen Freiheiten, die sich die Musiker in Tempogestaltung und Agogik nahmen – die Stimme Schostakowitschs vor allem im ruppigen Scherzo kaum noch zu erkennen war. Hier hätten beide zugunsten von klarer Tongebung und formaler Transparenz ihre Über-Leidenschaft etwas zurückfahren können, die trocken-lakonische Atmosphäre, die vor allem die Ecksätze bestimmt, wollte sich nicht einstellen. Zudem enttäuschte Lily Maisky hier auch mit einem kaum souverän bewältigten Klaviersatz. Das Publikum erklatschte sich noch weitere drei Romanzen, in denen Solisten und Zuhörer gemeinsam schwelgen durften, allerdings setzte ein Defekt der Klimaanlage in der dritten Zugabe einen unrühmlichen Schlußakzent unter ein ansonsten vor Spannung und Leidenschaft berstendes Konzert.
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