Paul Ben-Haims Oratorium „Joram“ erklang erstmals in Dresden
Dass die Stiftung Frauenkirche in diesem Jahr eine Veranstaltungsreihe mit Neuer Musik ins Leben gerufen hat, überrascht nicht und erfreut dazu. Nicht nur ist die Frauenkirche über die Jahrhunderte immer wieder Uraufführungsort geistlicher Werke gewesen, auch seit der Weihe 2005 erklangen vielfach eigens für Aufführungen in der Kirche geschaffene Werke. Das erste Konzert der Reihe am vergangenen Sonnabend irritierte jedoch in diesem Rahmen, denn das aufgeführte Werk wurde bereits vor 77 Jahren vollendet, in seiner Originalfassung wurde es erst 2008 in München uraufgeführt. Auch zur Zeit seiner Fertigstellung 1933 wäre Paul Ben-Haims opus magnum, das Oratorium „Joram“ keinesfalls als neue Musik zu bezeichnen gewesen, allerdings gibt es viele Ebenen in dem Werk, die eine starke eigene musikalische Handschrift tragen. Selten entpuppt sich ja eine vergessene Komposition noch als Meisterwerk, doch in diesem Fall ist es unerklärlich, dass der als Paul Frankenburger in München 1897 geborene Komponist zu Lebzeiten nur eine Aufführung einer gekürzten Fassung seines „Joram“ erleben durfte, denn das Stück ist eines der faszinierendsten Oratorien der Neuzeit, es ähnelt in seiner Wirkung dem wenig später entstandenen „Buch mit sieben Siegeln“ von Franz Schmidt, ist aber ungleich moderner in der Tonsprache. An der Nahtstelle der Fertigstellung des Werkes musste Frankenburger nach Palästina emigrieren und fand fortan keine Aufführungsmöglichkeiten für das großbesetzte Werk, auch das übrige OEuvre dieses spannenden Komponisten harrt immer noch der Wiederentdeckung. Musikwissenschaftlern und vor allem den Münchner Protagonisten der Aufführung in der Frauenkirche ist die Edierung der Erstfassung des „Joram“ zu danken. Schade, dass sich kaum 300 Zuhörer für diese moderne Hiob-Adaption (Text: Rudolf Borchardt) interessierten, doch diese dankten den Interpreten ergriffen für eine großartige Aufführung. Ben-Haim-Biograf Jehoash Hirshberg von der Jerusalemer Universität gab zuvor eine plastische Einführung in das Werk, das formal an die Passionen von Bach, aber auch an den Elias von Mendelssohn anknüpft. Musikalisch geht Ben-Haim eigene Wege und überrascht den Zuhörer mit einer unglaublichen Farbigkeit des Orchestersatzes, ganz eigener Ausdeutung spätromantisch-freitonaler Harmonik und massiv ausufernder Dramatik, die aber niemals platt wirkt, sondern von großer rhythmischer und melodischer Energie getragen wird – oft kontrastieren feinste Passagen in Solo-Instrumenten als Beruhigung der Massen. Problematisch ist die zu bewegende Textmasse in lutherischem Duktus: man hätte es schwer, den zahlreichen Erklärungen und Beschreibungen zu folgen, wäre da nicht die exakte Deklamation des Münchner Motettenchores und eines hervorragenden Solistenquartettes (Carolina Ullrich, Carsten Süß, Bernd Valentin und Miklós Sebestyén mit einheitlich starker Darstellung) gewesen. Der Chor hat enorme Aufgaben zu bewältigen, wurde von seinem Leiter Hayko Siemens aber optimal betreut. Neben dem Mut zum piano überzeugte die harmonische Sicherheit und der Krafteinsatz bei Steigerungen in den drei Schlußchören – letztlich waren bei einigen von Ben-Haim raffiniert gesetzten a-cappella-Passagen Grenzen festzustellen. Die Münchner Symphoniker schließlich klangen unter Siemens kundigem Dirigat transparent und glänzten mit vielen empfundenen Soli (Flöte, Kontrabass). Die Dramaturgie spannte sich weit bis zu den Anklagen des Joram und den Engelserscheinungen des 3. Teils, nach mehr als zwei Stunden musikalischer Reise durch die Themen von Schuld und Leid, Glaube und Individuum gelingt ein tröstlicher, menschlicher Ausklang, gemäß der Weisheit des von Ben-Haim als Mittelpunkt des Werkes vertonten Chorspruchs: „Handle! Lebe! Und es ist Passion.“
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