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Kraftvoller Auftakt – Zeiträume der Musik im 1. SInfoniekonzert der Staatskapelle Dresden

Strahlender Sonnenschein begleitete die Saisoneröffnung der Sächsischen Staatskapelle am Sonntagvormittag in der Semperoper. Der Übergang von der genussvollen Sommerzeit hin zur neuen Konzertsaison gelang fließend. Großen Pomp sparte sich die Staatskapelle diesmal, denn die Saison 2010/2011 ist noch „cheflos“, allerdings keineswegs führungslos, denn namhafte Dirigenten bekommen die Chance, das hervorragende Orchester zu leiten, so im 1. Sinfoniekonzert der Este Paavo Järvi.

Die Qualität des Auftaktkonzertes lag in einer den Geist fordenden Dramaturgie, denn mit dem Thema „Zeit-Raum“ wurde eine imaginäre Thematik über das Konzert gebreitet, die zum Ursprung der Musik selbst führt. Wer anders setzte sich mit diesem Thema genialer auseinander als Ludwig van Beethoven? Viele seiner Werke wirken wie eine Forschungsarbeit der Zeit-Nahme oder der Überwindung der Zeiten. Tonlängen und Pausen, Plötzlichkeit und Abwarten werden zu fokussierten Objekten der Betrachtung. Damit beschäftigt sich auch der estnische Komponist Erkki-Sven Tüür, dessen Werk „Zeitraum“ zu Beginn erklang.

Bei allem Respekt vor der Ernsthaftigkeit der Aufgabe: die Wirkung misslang. Möglicherweise lag es an der Übermacht Beethovens, dass die teils minimalistisch tickenden Skalen und die herausplautzenden Zusammenballungen der Bläser nur ein Gerüst eines Zeitraums artikulierten, aber eben keine Botschaft. Zu unscharf war das kompositorische Material der anvisierten Zeit-Architektur ausgestaltet. Trotz engagierten Spiels der Kapelle unter der akkuraten Leitung Järvis wird man sich einem neuen Umgang mit Musik der Gegenwart zukünftig stellen müssen, das ungeliebte Pflichtstück der ersten Konzertviertelstunde sollte man begraben.

Neben dem Capell-Compositeur (in diesem Jahr Johannes Maria Staud) gibt es nun auch einen Capell-Virtuos bei der Sächsischen Staatskapelle und die Dresdner dürften hocherfreut sein, dass Rudolf Buchbinder mehrere Abende gestalten wird. Der herausragende Beethoven-Interpret zeigte denn auch im 5. Klavierkonzert Es-Dur, dass ein überlegter, frischer Zugang dieses Werk wohl niemals altern lassen wird. Dazu ist zuviel Leben, zuviel Mensch, zuviel Herz ist in diesem Werk und Buchbinder zeigte davon eine ganzes Füllhorn. Wohl darf man ihn im besten Sinne als „Nuntius“ der Werke Beethovens betrachten, denn Buchbinders Auseinandersetzung mit von ihm gespielter Musik ist jederzeit komplex und spiegelt sich bereits in der Maxime wieder, dass keine Note dem Zufall überlassen wird. Auch das selbstbewusste Frei-Spielen im dritten Satz wirkt gesteuert, kraftvoll, überzeugend. Dem niemals übertriebenen oder ungestümen ersten Satz folgte Achtsamkeit im Adagio – Buchbinder erzählt die Musik immer noch mit einer fast kindlichen Neugier und der Zuhörer schafft es, das Werk wieder in frischen Farben zu entdecken. Paavo Järvi arbeitete in guter Partnerschaft mit dem Solisten und entlockte dem Orchester einen runden und sehr flexiblen Gesamtklang.

Die Kompetenz und Hingabe, mit der Järvi bei Beethoven zu Werke geht, beschert dem Dirigenten und seiner Kammerphilharmonie Bremen in diesem Jahr übrigens eine ECHO-Klassik-Auszeichnung. Eine sehr überzeugende, in den Tempi durchaus avancierte Interpretation gelang ihm mit der Kapelle mit der 5. Sinfonie c-Moll Opus 67. Das (unzulängliche) Motto namens „Schicksals-Sinfonie“ bettete Järvi in ein satzübergreifendes Konzept ein, das schon bei Beethoven angelegt ist. Das Andante bildet daher nur eine Brücke, eine Farbschattierung hin zum offenen, sonnendurchtränkten Feld des Finales, das Järvi mit einem überaus spannenden Übergang aus dem Scherzo erreichte. Die Ecksätze waren wie aus einem Guß gemeißelt und mit klarem Vorwärtsgedanken hingesetzt: so wies das 1. Sinfoniekonzert am Ende in einer meisterlichen Interpretation in die musikalische Zukunft der neuen Konzertsaison. Und es ist eine gut, dass uns Beethovens Musik solche Erkenntnisse heute immer wieder zu geben vermag.

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Veröffentlicht in Rezensionen

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