Kontrastreiche Konzerte bei den „Tonlagen“ in Hellerau
Die 2. Dresdner „Tonlagen“, das Festival der zeitgenössischen Musik in Hellerau sind eröffnet. Am vergangenen Wochenende fanden bereits drei Veranstaltungen statt, dazu ging tagsüber in der Musikhochschule Dresden das Symposium des Festivals über die Bühne. Dessen Leitthema „populär – elitär“ wurde dort theoretisch abgehandelt, praktisch konnte man sich bei den ersten Konzerten auch darüber seine Gedanken machen.
„Jacob’s Room“, ein Musiktheater des amerikanischen Komponisten Morton Subotnick (*1933) wurde als Auftakt ausgewählt, in jeder Hinsicht war dies ein Stück, was im ungewöhnlichen Einsatz der Materialien und in einem diskutablen und häufig überfordernden Umgang mit Musik, Text und Bühne die ganze Kraft des Zuhörers erforderte. Für dieses Gastspiel eines der Pioniere elektronischer Musik des 20. Jahrhunderts hätte man sich allerdings ein rappelvolles Haus gewünscht. Intendant Dieter Jaenicke gelang mit der Subotnick-Oper ein Hammerschlag zu Beginn des Festivals, der fernab der bloßen Aufführung eigentlich einer Vor- und Nachbereitung bedurft hätte.
Eine Situation des Alleinseins bildet den Kern des Werkes, in der sich der Protagonist Platon lesend seiner Vergangenheit als Überlebender eines Völkermordes bewusst wird. Das hätte ein hochinteressanter Ansatz sein können, wenn Subotnick es vermieden hätte, nach einer eigentlich spannenden Einleitung in einer Wort-Schlacht von reichlich über einer Stunde Dauer genau diesen Schrecken über dem Zuschauer auszugießen. Beim allzu plötzlichen Ankommen in der Realität bricht das Stück schließlich kommentarlos ab. Damit stellt sich für den Zuschauer genau die Alleinsein-Situation ein, allerdings nunmehr überfrachtet mit der Bedeutungslastigkeit der Themen der Welt, die Subotnick uns um die Ohren geworfen hat: Liebe, Schuld, Tod, Erinnerung, Glaube, Macht wären reizvolle Kompositionsanlässe gewesen, doch Subotnicks kaum den Stil der typischen „Minimal Music“ verlassende Behandlung eines Ensembles aus vier Celli und Keyboard war ebenso anstrengend und wie die permanent extrem (und damit im Einzelnen zu charakterlos) geführten Singstimmen. Regie (Mirella Weingarten) und Video (Lillevan) verhielten sich auf der stets kippenden Viereck-Bühne behutsam, einzig Jacob hielt sich ständig den Kopf: die Schuld ist ebenso unaushaltbar wie das Stück selbst, das an seiner eigenen Dramaturgie scheitert.
Am Sonnabend dann gastierte die Dresdner Philharmonie in Hellerau, bedauerlicherweise erlaubte sich das ansonsten treue Philharmoniepublikum einen freien Tag und verpasste somit einen vergnüglichen Abend. Der Komponist, Dirigent und Sänger HK Gruber aus Wien zeichnete für das abwechslungsreiche Programm verantwortlich und startete mit der Ursonate von Kurt Schwitters. Damit war die Reiseroute klar: Ernst und Spaß tanzten im Folgenden fröhlichen Reihen und in dieser Einbettung bekam auch das Fagottkonzert „Zefiro aleggia — nell’infinito“ von Olga Neuwirth mit dem grandiosen Solisten Pascal Gallois plötzlich eine schillernde Bildhaftigkeit. Sowohl HK Grubers Johann-Strauss-Alptraum „Perpetuum Mobile / Charivari“ als auch das Pandämonium „Frankenstein!!“ entfachten bei den Philharmonikern ungeahnte Kräfte sowohl der Virtuosität des exzessiven Nachschlages als auch in der Fertigkeit auf zahlreichen Nebeninstrumenten. Das Glatteis zwischen Konvention, Tradition, Satire, Klamauk und Doppelbödigkeit wurde von Gruber und den Musikern wunderbar ausgekostet, zudem verließen die Philharmonie nie ihr absolut konzentriertes hohes Niveau der Interpretation.
Im Dalcroze-Saal stellte sich dann zu später Stunde noch das Dresdner „New Composers Collective“ mit Thomas Zoller, Sascha Henkel und Gabriel Hahn vor. Die drei Musiker schaffen es tätsächlich, sich zwischen alle Stühle zu setzen und in sorgfältiger Stückkonzeption mal den Freejazz hereinzuwinken oder minimalistische Klangerforschung zu betreiben, damit bleiben sie originell und verleugnen auch nicht den Experimentcharakter ihrer Stücke. Eines ist sicher: die starken Wechselbäder des Kontrastes werden auch in den kommenden Veranstaltungen der Tonlagen spannende Basis der Erlebnisse sein.
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