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Eine runde Sache mit Ecken und Kanten

10. Sinfoniekonzert der Staatskapelle mit einer Uraufführung von Johannes Maria Staud

Es brauchte in dieser Saison etwas Geduld – nachdem der Capell-Virtuos Rudolf Buchbinder seine Residenz in Dresden schon abgeschlossen hatte, konnte Orchester und Publikum zum 10. Sinfoniekonzert auch den Capell-Compositeur dieses Jahrgangs begrüßen, den Österreicher Johannes Maria Staud. Gleich drei neue Werke werden bis Saisonende bei der Kapelle erklingen – das ursprünglich für den Beginn der Saison gedachte Preludio „Tondo“ wurde von der Sächsischen Staatskapelle unter Leitung von Christoph Eschenbach uraufgeführt und wird auch auf der nun folgenden Tournee durch europäische Konzertzentren im Gepäck sein.

„Tondo“ ist trotz seiner klanglichen Kanten und Ecken eine „runde Sache“, denn das Stück bezieht seinen Reiz aus der absichtsvoll vom Komponisten gewählten Kreisform, die auch beinhaltet, dass das Stück eigentlich kein Ende hat. Doch der Fluss der Zeit macht vor einem Konzertwerk nicht halt (auch das Orgelstück „as slow as possible“ von John Cage in Halberstadt wird in 639 Jahren ein Ende haben), und so entschied sich Eschenbach für eine kurze Abrundung in Form der Wiederholung des ersten Teils des neuen Werkes. Da hatte das Publikum allerdings schon größtenteils abgeschaltet, und am dürftigen Applaus war leider nur zu deutlich spürbar, dass das Semperoper-Publikum am Sonntagvormittag kaum an einer lebendigen Auseinandersetzung mit der Musik unserer Gegenwart interessiert ist. Dabei war die Aufführung sehr engagiert und farbenreich – Staud versteht es sich mit dem Instrument Orchester auszudrücken und klare Klangsituationen zu komponieren, die oftmals im Untergrund mit einer welligen Unruhe einhergehen. Daher ragten besonders die stillen, gehaltenen Töne aus diesem Eröffnungsstück heraus.

Sehr scharf war dann der Übergang in bekanntere Klangwelten: Robert Schumanns Cellokonzert a-Moll stand auf dem Programm. Manchem dürfte aufgefallen sein, dass auch dieses Stück schwer zum Mitsingen oder genießerischen Zurücklehnen geeignet ist. Was Staud von seinen Zuhörern fordert, ist bei Schumann nicht minder anspruchsvoll: dieses Konzert will nachvollzogen werden, und es braucht einen hervorragenden Solisten, der es zum Sprechen und Singen bringt. Der junge Cellist Leonard Elschenbroich stellte sich erstmals in einem Kapell-Konzert vor, konnte aber trotz selbstbewusster Herangehensweise nur dann überzeugen, wenn großbögige Melodik im Vordergrund stand. Elschenbroich agierte zwar immer hochmusikalisch in der Phrasierung, aber die Interpretation war stellenweise zu sehr von Überlegung und augenblicklicher Emphase geprägt. Doch wird man von dem Cellisten hoffentlich noch viel hören – die Hindemith-Zugabe zeigte großes Potenzial mit zupackender Gestaltung.

Im zweiten Teil des Konzertes bejubelte das Publikum Christoph Eschenbachs Darstellung der 1. Sinfonie c-Moll von Johannes Brahms – für den in der Spätromantik verwurzelten goldenen Klang der Kapelle ist es ein höchst dankbares Werk, bei dem Eschenbach keine Mühe hatte, die tiefgehende Wärme des Klanges auszubalancieren. Dem stand in den Ecksätzen eine große Energie gegenüber, die sich frei entladen durfte. Die Mittelsätze musizierte Eschenbach mit Raffinesse; Kai Vogler (Violine) und Robert Langbein (Horn) steuerten wunderbare Soli bei. Extreme Ausdruckswelten und Tempi vermied Eschenbach und fand stattdessen wunderbar atmende Übergänge. So wies die Sinfonie trotz rasanter Coda im Finale eine Erdung auf, die fast ein romantisches Idealbild zeichnete. Auszusprechen verbleibt der Wunsch, dass die Musik lebender Komponisten ebenso eine solche Selbstverständlichkeit und Tiefe in Rezeption und Wahrnehmung verdient hat – der Capell-Compositeur ist ein Schritt in die richtige Richtung.

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