Rott, Mahler und Bartók im 9. Zykluskonzert der Philharmonie
In verschiedenen Konzerten der laufenden Saison heißt es bei der Dresdner Philharmonie „Mahler, der Lyriker“. Zwar könnte man dieses Attribut auch auf die Sinfonien des in diesem Jahr zu seinem 100. Todestag gewürdigten Komponisten anwenden, doch die Themenreihe ist vorrangig dem vokalen Schaffen gewidmet. Während man im Juli bei einem Konzert der Philharmoniker in der Frauenkirche den interessanten Kontrast zu Werken von Arvo Pärt erleben kann, stellte das 9. Zykluskonzert am vergangenen Wochenende den „Rückert-Liedern“ ein sinfonisches Werk von einem Mahler-Zeitgenossen zur Seite, der erst in den letzten Jahren wiederentdeckt wurde:
Dem Komponisten Hans Rott (1858-1884), Kommilitone Gustav Mahlers und Schüler unter anderem von Anton Bruckner war nur ein kurzes Leben bedacht und anstelle von Erfolgen, die sein unbestrittenes musikalisches Talent befördert hätten, stand bereits in jungen Jahren eine psychische Erkrankung. Eine klare persönliche Handschrift ist indes schon in Rotts 1. Sinfonie E-Dur und auch in dem von der Philharmonie aufgeführten „Pastoralen Vorspiel F-Dur“ zu spüren. Der spanische Gastdirigent Juanjo Mena – designierter Chefdirigent des BBC Philharmonic Orchestra – wusste gut mit diesem im Tonfall zwischen Brahms und Reger changierenden Werk umzugehen. Die Besonderheiten, etwa harmonische Überraschungen oder plötzliches Versiegen des Verlaufes, wurden auch als solche inszeniert; somit bekam das Werk eigene, starke Qualität, die über die von Rott gewählte lapidare Betitelung hinauswies.
Das komplette Zykluskonzert hätte auch eine weitere Thematik bedienen können: Entdeckungen im Schatten des Repertoires – denn das traf mit sicher unterschiedlichen Begründungen auf alle drei Werke des Konzertes zu. Dass die Neugier auf ungehobene Schätze immer weniger den Kulturpalast zu füllen vermag, ist leider kein Geheimnis mehr, doch ob innere Bereicherung durch stetiges Wiederkäuen des Bekannten erreicht wird, sei dahingestellt. Die Schattenposition in der Rezeption gilt merkwürdigerweise auch für Gustav Mahlers „Rückert-Lieder“, die vermutlich wegen ihrer zerbrechlich anmutenden, direkten Intimität den Standards der Popularität kaum folgen wollen. Die Philharmoniker zeigten dabei kammermusikalischen Geist und Raffinesse, konnten aber in Nuancen der Übergänge und Tempi gemeinsam mit dem Bariton Michael Volle nicht immer zur letzten Hingabe gelangen – dann nämlich wäre „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ zum luziden Diamanten geraten. Volles ausführliche Diktion bremste in „Ich atmet einen linden Duft“ den Fluss etwas ab, doch im bitteren „Um Mitternacht“ fand er wunderbaren, unwidersprechbaren Ausdruck.
Nach der Pause wartete dann in Gestalt des ebenfalls selten aufgeführten Tanzspiels „Der holzgeschnitzte Prinz“ von Béla Bartók echte Schwerstarbeit auf die in voller Besetzung angetretenen Philharmoniker. Mena nahm die Orchestermusiker mit auf die Reise in die zerklüftete und farbenreiche Klangwelt des Märchens, das in einigen der Tänze nahezu taktweise komplett den Charakter wechselt und dabei in immer neuen kleinen und großen Wellen pulsiert. Alle Musiker schufen gemeinsam eine gute, von Intensität und mutigem Herangehen geprägte Interpretation; für das sorgfältige, stets energiegeladene Dirigat durfte Mena am Ende auch den Dank des Orchesters entgegennehmen.
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