Mahlers 6. Sinfonie mit den Berliner Philharmonikern
Äußerst gespannt erwartete das Publikum im voll besetzten Semperbau das Gastspiel der Berliner Philharmoniker unter Leitung ihres Chefdirigenten Sir Simon Rattle bei den Dresdner Musikfestspielen. Vor dem Konzert wurde dem Orchester der „Glashütte Original Musikfestspiel Preis 2011“ verliehen, und zwar für das Education-Programm „Zukunft@BPhil“, das seit mehreren Jahren auf höchstem Niveau nicht nur Nachwuchskünstler fördert, sondern umfangreich Vermittlung, Workshops und Projekte mit Jugendlichen innerhalb und außerhalb von Schulen initiiert.
Dass Kirchentagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt die Laudatio hielt, war nicht nur als nette Geste zwischen beiden Veranstaltungen gemeint, sondern zeigte einmal mehr, dass gesellschaftliches Engagement alle angeht und in den vielfachen Verbindungen ein nicht zu unterschätzender Wert geschaffen und gehalten wird. Wie konnte man sich aber nach dieser festlichen und Hoffnung machenden Preisverleihung auf das einzige sinfonische Werk des Abends einlassen, Gustav Mahlers 6. Sinfonie, die einem bereits mit den ersten harten Schlägen des „Allegro Energico“ alle Zuversicht raubt?
Das nur als großartig zu bezeichnende Konzert schaffte genau diesen Brückenschlag: Musik eröffnet einem ungeahnte Welten, wenn man sich als Interpret wie als Zuhörer hundertprozentig darauf einläßt – der stürmische Beifall am Ende war also auch ein Akt des bedingungslosen Nachvollzugs, den die Interpretation von Sir Simon Rattle möglich gemacht hatte und so enorm tief ging. Alle Sinfonien von Mahler mögen einzigartig in ihrer Konzeption sein, in ihrer Konsequenz der Darstellung des Unabwendbaren, einhergehend mit einer sich immer dunkler färbenden, zerstörischen und bitteren Emotionswelt, ist diese Sinfonie vergleichslos.
Rattle interpretierte die Sechste daher auch schonungslos und doch mit höchster Aufmerksamkeit und Kontrolle. Dies bedeutete auch ein scharfen Hineinleuchten in feinste Details, dazu kam eine satzübergreifende Tempoarbeit, die von allen mitgetragen wurde und so brauchte Rattle selbst bei flexiblen Übergängen kaum Unterstützung leisten: der Weg war allen klar, Rückkehr unmöglich. In immer neu aufgeladenen Wellen formte sich schon im 1. Satz in eine unglaublich greifbar klingende Energie. Für jedes Thema, jede noch so kurze Geste des gefühlvollen Aufflimmerns gab es bei allen Musikern genaueste Klangvorstellungen; so entstand ein monumentales Fresko einer inneren Katastrophe, in der selbst die Herdenglocken kaum mehr als glaubhafte Reminiszenz vergangener Welten wahrgenommen konnten.
Das Andante inszenierte Rattle nicht als Beruhigung, stattdessen setzte sich der Bildersturm auf einer inneren Ebene fort; die Berliner behielten den dumpf-herben Ton selbst in den letzten Resten eines unmöglich scheinenden lyrischen Ausweges bei. Der morendo-Ausklang dieses Satzes verhieß nichts Gutes mehr, die Tür zum Jenseits war mit Beginn des Scherzos, in dem die Bläser einen Höllentanz vollführten, weit aufgestoßen. Und doch hatte Rattle selbst im Finale noch Mut, Akkuratesse und zauberhaften Glanz in zurückhaltenden solistischen Passagen zu formen: den beiden Hammerschlägen und dem Ende, dem nichts mehr folgen kann, wurde mit offenen Augen entgegengesehen: ein aufrechter sinfonischer Untergang.
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