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Musikalisches Ausrufezeichen

Landesbühnen Sachsen mit der Aufführung der 9. Sinfonie von Beethoven

Die 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven wird für den Jahreswechsel von vielen Orchestern gern auf das Programm gesetzt, dabei ist es nicht nur der offene Jubel des bekannten Finalsatzes, der „Ode an die Freude“, die zu den Aufbruchsgedanken eines neuen Jahres perfekt passt. Denn die Sinfonie, das wird gerne unterschlagen, besteht aus vier genial zusammengefügten Sätzen und bietet zahlreiche auskomponierte Haltungen und Gedanken feil, die letztlich alle auf eine komplexe Auseinandersetzung mit dem Menschen und der Natur zielen, somit philosophische Dimension offenbaren.

Insofern wäre das Werk auch gut geeignet, auch Politikern einen Moment der Besinnung angedeihen zu lassen: was kann Kultur bewirken? wie werde ich berührt? warum spendet das Publikum in der vollbesetzten Auferstehungskirche in Dresden-Plauen so großen, ehrlichen Applaus? Leider hat dieses musikalische Ausrufezeichen wohl niemanden der Verantwortlichen erreicht, die die Kürzungen des Orchesters der Landesbühnen unlängst durchgesetzt haben.

So fällt das Grußwort des Orchesters zum Jahresausklang sorgenvoll aus, dass die Musiker anschließend in der Sinfonie „um ihr Leben spielten“, kann man als fast schon zynische Wahrheit beschreiben: die Aufführung der 9. Sinfonie von Beethoven war gleichsam ein historisches Ereignis, das keiner gewollt hat, denn in dieser Formation wird das Landesbühnenorchester wohl zum nächsten Jahreswechsel nicht mehr antreten. Mit diesem Beigeschmack versehen ist es um so bemerkenswerter, wie die Aufführung diesmal eine Intensivierung erfuhr, die mit dem Gefühl des „jetzt erst recht“ nicht nur zu Beethovens Innerstem vordrang, sondern auch von mitreißender Ernsthaftigkeit geprägt war.

GMD Michele Carulli wählte für den Eingangssatz ein bedächtiges Tempo, das Raum für die Klangentfaltung ließ – der Orgelpunkt am Ende der Durchführung fiel dadurch um so bohrender, gar wütender aus. Anstelle von Wildheit und Chaos im Scherzo herrschte eine gespannte Ordnung, die den folgenden langsamen Satz noch intensiver geraten ließ. Carulli ließ im Finale dann alle musikalischen Kräfte frei, gestaltete aber sorgsam die gut deklamierenden Chöre (Singakademie Dresden und Chor der Landesbühnen) und das etwas auftrumpfend agierende Soloquartett (Anna Erxleben, Hannah Schlott, Guido Hackhausen, Iikka Leppänen).

Musste es erst zu der kulturpolitischen Unbill kommen, dass wir uns plötzlich wieder dem Sinn der Neunten zuwenden? Ein verrückter Gedanke, der uns aber näher an die Bedeutung des Werkes führt. Dieter Hildebrandt wird im Programmheft zitiert: „Nur wenn wir uns klarmachen, dass wir einem Hymnus auf die Vergeblichkeit beiwohnen, dämmert uns eine Ahnung von Widerstand und Widerständigkeit, bis in die letzte Note der Neunten.“ – Ode an die Freude, ungelöst.

Nachbemerkung: Dass ich ausgerechnet auf dem Weg zu diesem Konzert in einem Park in der Innenstadt von einer dort versammelten Meute „Sieg Heil“-Rufe vernahm, erfüllte mich mit Entsetzen – und rüclt den Kürzungsakt des Sächsischen Kultusministeriums in nahezu kriminelle Regionen. Wer Kultur kürzt, macht sich strafbar, und zwar geistig strafbar.

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