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Durch die Brille.

Händel, Brahms und Schönberg im 9. Philharmonischen Konzert

Die Konzertsaison der Dresdner Philharmonie neigt sich dem Ende zu, und auch die verbleibende Zeit im Kulturpalast ist gezählt. Dennoch stellte das Orchester im 9. Philharmonischen Konzert ein neues Format vor: im „Präludium“ vor dem eigentlichen Konzert wird ein Werk vorgestellt, das in engem Zusammenhang mit dem Konzert steht. Hier waren es die Händel-Variationen von Johannes Brahms, die durch den Pianisten Christoph Berner zunächst im Original erklangen. Berner ist der Philharmonie schon durch viele Auftritte verbunden und auch ein geschätzter Kammermusikpartner.

Im großen Saal des Kulturpalastes wusste er die Variationen mit gutem Sinn für den formalen Zusammenhang zu interpretieren und stellte die unterschiedlichen Charaktere transparent und feinsinnig dar – so war die abschließende Fuge gut eingebunden in den Kontext und Berner bewies frischen Atem bis zu den Schlussakkorden des halbstündigen Werkes. Das Publikum nahm die neue, allerdings keinesfalls moderne (zu Beginn des 19. Jahrhunderts begannen Konzerte schon am Spätnachmittag und auch in den Pausen wurde musiziert) Konzertform völlig selbstverständlich auf.

Nur einzelne Gäste erschienen erst zum Orchesterkonzertbeginn, zu spannend war der Bezug zwischen Original und Bearbeitung. Für das Konzert indes benötigte man gleich mehrere Hör-Brillen. Zunächst musizierten die Philharmoniker unter der Leitung ihres Chefdirigenten Michael Sanderling stilsicher ein Concerto Grosso von Georg Friedrich Händel, dem „Themengeber“ der Variationen. Und auch hier ist schon die erste Brille gefragt, denn die barocken Concerti Grossi atmen natürlich das italienische Vorbild.

Vor der Pause durfte man sich dann rühmen, insgesamt 50 Variationen des Händelschen Themas (das allerdings einer Clavecin-Suite entstammt) gehört zu haben, nun allerdings die Brahms-Fassung in einer Orchesterbearbeitung von Mark Popkin, einem amerikanischen Fagottisten (1929-2011). Durch diese Brille erschien Brahms zwar freundlich instrumentiert, jedoch fehlte trotz der engagierten Interpretation der Philharmoniker mit Streichern und fünf Bläsern ein wirklicher Mehrwert – vielleicht wird Sanderling auch einmal die weitaus farbigere Fassung des Briten Edmund Rubbra vorstellen.

Nach der Pause wurde das Grundthema „Original-Bearbeitung“ weiter verfolgt. Arnold Schönbergs Instrumentierung des Klavierquartetts g-Moll, Op. 25 von Johannes Brahms wird scherzhaft gerne „Brahms‘ Fünfte“ genannt, wurde allerdings von Schönberg immerhin 104 Jahre nach Brahms Geburt erstellt. Hier fasziniert die große Dichte und Farbigkeit der durchweg spätromantischen Partitur. Der Orchestersatz schimmert und drängt zwischen edelster Kammermusik und vollem Tutti, der Meister Schönberg zeigt sich hier in der Instrumentationskunst und hebt das Original auf eine neue Ebene. Sanderling ging das Werk mit reichlich Emotion und viel motivierender Betreuung der Orchestergruppen an. Im ersten Satz überzeugte diese auf die Zielpunkte der Linien zeigende Grundhaltung. Allerdings verlor das Intermezzo an zweiter Stelle im zu schnellen Tempo den Grund und geriet einige Male ins Schwimmen.

Die scharfe Konturierung des Rondos führte zu einem äußerst leidenschaftlichen Finale und die Musiker folgten Sanderling in Höchstform – 185 Minuten philharmonisches Konzert wurden eifrig bejubelt. In der neuen Saison wird man dieses Format an den verschiedenen Spielorten zunächst nicht finden, allerdings wird es viermal einen „Epilog“ geben, auf den man gespannt sein darf.

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