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Stille im Schnellrestaurant und Klebeband-Surroundsound

Festivalprolog der Tonlagen mit einer John-Cage-Schüler-Performance

Mit einem wunderbar kreativen und lebendigen Prolog begann am Montagabend das Tonlagen-Festival vor der offiziellen Eröffnung. Warum musste es eigentlich ein Prolog sein? Die Veranstaltung führte auf ideale Weise in das Festivalthema „John Cage“ ein, führte Ungläubige im Handstreich zur Kunst und verband soziale, zeitkritische und mystische Elemente auf verblüffende Weise. Das Werk von John Cage, dem das Festival zum 100. Geburtstag mit zahlreichen Aufführungen gewidmet ist, ist ein Kosmos, der zwar in Vielschichtigkeit schillert, aber nicht in Komplexität erschlägt.

Es sind überhaupt wenige zeitgenössische Komponisten denkbar, bei denen ohne Hintergrundwissen und gehörigem Anspruch solch ein direkter Zugang möglich ist. Cage überläßt den Zuhörern die Tiefe des Eindringens, auch die Interpreten werden behutsam an die Hand genommen: Von völlig offen gestalteten, zuweilen kryptischen konzeptuellen Werken bis hin zu akribisch ausnotierten Instrumentalkompositionen reicht die Vielfalt. Und doch verwehrt sich das Werk von Cage einer Beliebigkeit in der Wahrnehmung wie in der Ausführung. „Music is everywhere“ kommt selbst in der Erzeugung von Stille nicht ohne Ursache und Wirkung aus.

Somit war eigentlich schon vor dem Besuch des Festivalprologes klar, dass ein spielerisch-kreativer, immer bewusster Umgang mit Cage durch Schüler des Franziskaneums Meißen, des Landesgymnasiums für Musik Dresden und des Vitzthum Gymnasiums Dresden nur zum Erfolg führen würde, und dies bestätigte sich. Aufgehoben war die starre Konzertsituation von vornherein, das Publikum teilte sich in mehrere Gruppen auf und durchwanderte sieben musikalische Ereignisse. Dabei waren auch die Räume intelligent gestaltet, sei es der Sesselfriedhof in der „Radio Music“ oder das kreisförmige Matratzenlager in „Sculptures Musicales“, letzteres übrigens eine Station, an der man – durch fließende und im Wortsinn flüssige Klänge in Entspannung begriffen – die Regel der festgelegten Dauer des musikalischen Ereignisses doch gerne durchbrochen hätte. Faszinierend war, wie offen, spielerisch und gleichzeitig hochkonzentriert die Schüler überall zu Werke gingen.

Das berühmte Stück „4’33““ im Schnellrestaurant und auf einer Straßenbaustelle aufgeführt war da ebenso frappierend (aber über Video dann doch in eine weitere Interpretation „übersetzt“) wie die „Variations IV“ mit genialem Klebeband-Surroundsound, nachdem dort schon ein Kaktus, ein Fahrrad und etliche Küchenutensilien ihr musikalisches Eigenleben entfalteten. Cage beförderte stets die Entfaltung des Interpreten in neue Richtungen, so war die Performance von Schüler-Eigenkompositionen, die durch Cage inspiriert wurden, ein interessantes Experiment, Formen und Klangverläufe selbst zu bestimmen.

Die Schallplatteninstallation „33 1/3“ brachte nicht nur erschreckende Dachbodenfunde der Hellerau-Mitarbeiter zu Tage, sondern etliche DJ-Talente im Publikum hervor und genau in der Mitte des Konzertes versammelte man sich im Foyer um das präparierte Klavier von Susanne Frenzel-Wohlgemuth zu den „Sonatas and Interludes“ – wiederum ein spannendes Schlaglicht auf eine ganze Werkreihe von John Cage. Spiel, Ernst, Zufall, Humor, Stille und Geräusch, es war alles vertreten an diesem vergnüglichen Abend, der stimmig war und bei dem Cage sicher milde und zufrieden lächelnd seinen Geburtstag sehr genossen hätte.
(2.10.12)

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