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Uraufführung Konzert für 2 Violinen und Orchester

Morgen in Freiberg:

5. Sinfoniekonzert
der Mittelsächsischen Philharmonie

Ottorino Respighi: Trittico Botticelliano
Alexander Keuk: Konzert für zwei Violinen und Orchester (Auftragswerk, UA)
Paul Hindemith: Sinfonie „Mathis der Maler“

Solisten: Duo Gelland: Cecilia Gelland, Violine; Martin Gelland, Violine
Dirigent: Jan Michael Horstmann

21.03.2013, 19.30 Nikolaikirche Freiberg (18.45 Konzerteinführung)
22.03.2013, 20.00 Theater Döbeln (19.15 Konzerteinführung)
(Links siehe unten)

Zur Einführung

Alexander Keuk
Doppelkonzert für zwei Violinen und Orchester
nach André Massons „Vingt-deux dessins sur le thème du desir“

Das Doppelkonzert für zwei Violinen und Orchester hat eine längere Entstehungsgeschichte. Ich bin dankbar, dass sich die verschiedenen Fäden biografisch wie musikalisch nun derart ineinandergesponnen haben, dass es zu dieser lang ersehnten Uraufführung kommt. Bereits in den 90er Jahren begegnete ich Jan Michael Horstmann im Konzert: in Wuppertal aufwachsend, war ich noch Schüler, als Horstmann bereits an den Wuppertaler Bühnen dirigierte. Das Duo Gelland wiederum lernte ich 1998 bei meinen Studienarbeiten zu dem schwedischen Komponisten Allan Pettersson kennen, 2003 schrieb ich bereits ein Kammermusikwerk für Duo Gelland, die ich zu den spannendsten und innovativsten Ensembles auf unserem Planeten zählen würde. Über Pettersson verknüpften sich die Fäden – ein lange gehegter Wunsch, für die Gellands ein Konzert mit Orchester schreiben zu wollen, ging über den Kontakt nach Freiberg in Erfüllung.

Bereits 2004 formte sich das Sujet: in der Kunsthalle Würth in Baden-Württemberg besuchte ich eine Ausstellung mit Werken des Malers André Masson (1896-1987). Dessen Zyklus „Vingt-deux dessins sur le thème du désir“ (Zweiundzwanzig Zeichnungen über das Thema der Begierde) aus dem Jahr 1947, der dort erstmalig gezeigt wurde, hatte mich nachhaltig beeindruckt. Die Tinten-Zeichnungen sind ein spätes Nachwehen der surrealistischen „Écriture Automatique“ – Masson selbst war Mitte der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts einer der wichtigsten Vertreter der Pariser Surrealisten um Breton, Soupault, Desnos und Leiris. 1947 entstand der Zyklus an einem einzigen Tag; er ist mit vielfältigen Bezügen zu Mythologie und Natur versehen, aber eben auch Statement eines (im Zen-Sinne) „leeren“, freien Bewusstseins, das stärker als das ständig reflektierende Bewusstsein in der Lage ist, Realitäten zu bilden, Emotionen in Zeichen und Bildern darzustellen.

Die Zeichnungen selbst sind äußerst dynamische, teils abstrakte, teils figürliche Darstellungen der Geschlechter (hier ein Beispiel einer Zeichnung) innerhalb einer Welt voller mythologischer Bezüge – von der rasant hingezogenen Linie und Schraffur über phantastische, roboterartige Figuren, Flügelwesen und Bäumen bis hin zu Eiswüsten und Sintfluten tobt sich der „automatische Zeichenstift“ hier aus. Als 1961 die Zeichnungen in einem Buch veröffentlicht wurden, schrieb Jean-Paul Sartre das Vorwort und charakterisierte Masson in einem zutiefst humanistischen Kontext.

In der Komposition interessierte mich keinesfalls eine illustrative Musikalisierung der Bilder, die sich ohnehin in ihrem kraftvollen Hin-Wurf einer eindeutigen Interpretation entziehen. Das Konzert kann als Neukomposition von Zeichnungen desselben Themas verstanden werden, als Betrachtung des schöpferischen Prozesses (auch das „Schreiben“/“Zeichnen“ des Malers und kardiologische Auswirkungen der Anspannung bekommen im Stück Raum) und als Versuch, eine „Écriture Automatique“ in der Musik zu erfinden. Dass dieser Versuch von vornherein Hindernissen unterworfen ist, wird verständlich, wenn man als Komponist statt sofortigen „Losmalens“ den Umweg über Notation und vor allem in Beachtung und Behandlung der Zeit in einer großräumigen Orchesterpartitur gehen muss.

Trotzdem war die Umsetzung der 22 Zeichnungen in eine „automatische“, aber nicht mechanische Musik eine spannende Herausforderung, in der es immer auch galt, den vielfältigen Farben von Begierde, letztlich ur-menschlichen Gefühlen von Rausch und Drang nachzugehen. Dass ein einsätziges Werk von gerade einmal 18 Minuten Dauer – und darin sind 15 sehr stark kontrastierende Abschnitte enthalten – herausgekommen ist, ja, herausgestürzt wurde, verdeutlicht nur den besonderen Druck und die Verneinung jeglichen Ornaments und überflüssiger Noten. „Écriture Automatique“ wirkt immer noch zeitgemäß in der Reduktion auf das Wesentliche – und diese plötzlich auf dem Papier oder im Ohr vorliegende Erkenntnis kann schmerzhaft sein, sie kann aber auch eine reinigende oder öffnende Wirkung erzeugen.
(AK)

Weitere Informationen: http://www.mittelsaechsisches-theater.de, http://www.duogelland.com, http://www.keuk.de

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Veröffentlicht in hörendenkenschreiben

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