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Lautstärke als Qualitätsmerkmal?

Gustav-Mahler-Jugendorchester gastierte in der Semperoper

Bevor sich der Vorhang in der Semperoper zum ersten Mal in der neuen Saison hebt, gestaltet der europäische Orchesternachwuchs das Präludium: seit 2008 füllt das Gustav-Mahler-Jugendorchester mit einem sinfonischen Programm den Raum. Seit dem vergangenen Jahr ist die Sächsische Staatskapelle Dresden, die selbst wie viele andere große Orchester in Europa ehemalige GMJO-Mitgliedern aufweist, Partner des Orchesters, das 1986 von Claudio Abbado gegründet wurde.

Mit ihrem Sommerprogramm tourten die jungen Musiker aus 21 Ländern im August in den großen Konzertsälen Europas – das Konzert in der Semperoper bildete den Abschluss des Projektes. Unter der Leitung des 38jährigen Schweizer Dirigenten Philippe Jordan konnten die Zuhörer ein abwechslungsreiches Programm erleben, bei dem wiederum Jubilar Richard Wagner zu seinen Ehren kam. Sicher war es für viele der jungen Musiker ein eindrückliches Erlebnis, einmal die Ouvertüre zur Oper „Rienzi“ am Ort der Uraufführung aufführen zu dürfen. Das Gustav-Mahler-Jugendorchester wartete mit einer opulenten Streicherbesetzung von 74 Spielern auf, die hier auch gleich zum Zuge kam und Wagners Musik – von Jordan allerdings etwas steif buchstabierend aufgefasst – nahezu perfekt vorstellte. Schon hier störte allerdings das oberflächlich anmutende Getöse am Ende – Wagner verträgt auch an einem Ouvertürenschluss Differenzierung.

Nach diesem volltönenden Beginn leerte sich die Bühne: Maurice Ravels Klavierkonzert benötigt einen völlig anderen Klangcharakter, nur wenige Bläser und Streicher sorgen hier für den intimen und jazzig-augenzwinkernden Rahmen. Der französische Pianist Jean-Yves Thibaudet, der schon mehrfach in Dresden gastierte, agierte als kundiger Sachwalter dieser Musik, legte eine traumwandlerisch schöne Selbstverständlichkeit in den zweiten Satz und ordentlich Verve in die Ecksätze, vermied dabei aber jegliche Extravaganz. Sein Spielwitz und die deutliche Phrasierung übertrugen sich sofort ins Orchester, wo man messerscharfe Akzentuierung und viele mit „Stuhlkante“ ausmusizierte Bläsersoli verfolgen konnte – lediglich das Englisch-Horn-Solo im 2. Satz hätte mehr Präsenz vertragen können, eine Sondererwähnung verdient das tolle Harfensolo aus dem 1. Satz. Eine seltene Variante der Zugabe erlebte man mit dem kleinen Stück aus „Ma mère l’oye“ von Maurice Ravel, denn Dirigent Philippe Jordan setzte sich für diese vierhändige Überraschung zu Thibaudet ans Klavier.

Diese schöne Musikalität wurde im zweiten Teil des Konzertes leider nicht mehr erreicht. Dmitri Schostakowitschs 5. Sinfonie d-Moll Op. 47 wurde von Philippe Jordan als Schlacht- und Glanzstück für jugendliche Orchestermusiker vermutlich gründlich missverstanden. Zudem kam er mit dem Orchester kaum über einen Status der Ausstellung von Perfektion in der Ausführung hinaus, was aber für eine Interpretation eines so beziehungsreichen Stückes deutlich zu wenig ist. Damit trat das Stück – trotz gelungener, eingeübter Einzel- und Gruppenleistungen der Musiker – in fast allen Sätzen auf der Stelle, fehlte vor allem dynamische Mäßigung und ein Verständnis für spannungsreiche Übergänge.

Man wusste nie recht, wo Jordan mit dem Stück überhaupt hinwill. Stattdessen erschrak man vor nähmaschinenartig ausgeführten Tremoli im 3. Satz und einem nur brutal zu nennenden Finale, dessen D-Dur-Ende Jordan schon in den ersten Takten viel zu starr und zu langsam auffasste. Wenn sich dann selbst im Rang mehrere Zuhörer die Ohren zuhalten, muss sich das Orchester fragen lassen, welche Art von Kunst hier vermittelt werden soll und ob die Qualitäten von Musik nicht doch woanders liegen als im Austesten eines Phonpegels, der sich jenseits der Schmerzgrenze befindet.

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