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Himmlische Höhen

Gubaidulina und Bruckner im 1. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle

Am letzten Tag der Sommerferien, am sächsischen Wahlsonntag und letzten Augusttag, und damit kurz vor dem meteorologischen Herbstbeginn hat die Sächsische Staatskapelle ihre neue Saison mit dem 1. Sinfoniekonzert eröffnet. Atmosphärisch konnte also in den Gedanken beim Konzertbesuch Vergangenheit und Zukunft, das „Alte“ und das „Neue“ mitschwingen und das Programm war sehr dazu geeignet, sich damit eingehender zu beschäftigen.

Mit dem 2. Violinkonzert „In Tempus Praesens“ der neuen Capell-Compositrice Sofia Gubaidulina gelang ein nachdenklicher, höchst eindrücklicher Einstieg in die Saison. In den vergangenen Jahren wurden viele ihrer Werke von den Dresdner Orchestern oder etwa beim Moritzburg Festival gespielt. Die bei Hamburg lebende russische Komponistin dürfte es als besondere Auszeichnung empfinden, dass die Sächsische Staatskapelle sie in dieser Spielzeit besonders würdigt, auch zwei neue Kompositionen werden in Kapellkonzerten uraufgeführt werden.

Vor allem aber erklingen ihre beiden Violinkonzerte mit dem Capell-Virtuosen Gidon Kremer, der 1981 schon der uraufführende Solist ihres 1. Violinkonzertes „Offertorium“ war. Ihr zweites Konzert „In Tempus Praesens“ – geschrieben 2006/2007 für die Geigerin Anne-Sophie Mutter – trägt die Gegenwart bereits im Titel; das Jetzt-Erleben und Fühlen (musikalischer) Zustände ist nicht eine etwa als ironische Floskel auf zeitgenössische Musik gemeint, sondern ein ernstzunehmender Anspruch und gleichzeitig das Glücksgefühl einer Komponistin: heute arbeiten zu dürfen, heute neue Klänge zu erfinden und zu schreiben und damit an der musikalischen Gegenwart teilzuhaben. Gubaidulinas Musik verortet sich fern von einem rein absoluten Anspruch, ständig ist man versucht zu sagen, dass ihre Noten in starker Weise zum Zuhörer sprechen.

Beredte Monologe, Dialoge, „Stimmen“ durchdringen sich in diesem halbstündigen großen Konzertsatz und formen ein eindrucksvolles Klanggemälde, dem man sich nach den ersten von Gidon Kremer alleine vorgetragenen Tönen nicht mehr entziehen mag. Unter der Leitung von Christian Thielemann gerieten die sorgsam proportionierten Teile des Werkes ausbalanciert, wurden Kremers sich immer wieder in fast himmlische Höhen aufschwingende Linien gut in einen doch großen Orchesterapparat eingebettet. Vor allem die bis in kleinste Details auskomponierten Farbschattierungen in kammermusikalischen Abschnitten waren spannend zu verfolgen – dem bedrohlich-maschinellen Abgrund vor der von Kremer intensiv ausgeformten Kadenz folgte eine Art lichter Abgesang, der in seinem plötzlichen Dur-Schimmer wie ein Lobgesang auf die Sprache der Musik wirkte. Sofia Gubaidulina, Gidon Kremer, Christian Thielemann und die Staatskapelle nahmen einen großen und sehr herzlichen Applaus für dieses beeindruckende Stück entgegen.

Eine „Gegenwartsmusik“ ganz anderer Art – und doch höchst plausibel mit dem ersten Stück verbunden – war nach der Pause Anton Bruckners 9. Sinfonie d-Moll, oft bereits als „jenseitig“ beschrieben und doch mit ganz irdisch singenden Klängen, Melancholie und Weltgewitter versehen. Will man interpretatorisch auf dieses große Werk „antworten“, ist ein Scheitern fast vorprogrammiert – man tut am besten daran, diese Musik sprechen zu lassen, und genau dies konnte man bei der Staatskapelle auch in wunderbarer Weise erleben: Thielemann arbeitete in leisen, lyrischen Teilen die leicht fragile, kantable Atmosphäre heraus.

Der erste Satz war klanglich sogar beinahe zu ordentlich-klassisch angelegt, damit gelang aber auch eine Art innerer musikalischer Rückblick, der in den nächsten beiden Sätzen nicht mehr möglich erscheint. Große Tutti entfalteten sich unter Thielemanns Händen eher selbstverständlich – dem bizarren Scherzo gab er kraftvolle Impulse hinzu, um im Trio einen größtmöglichen charakterlichen Kontrast herzustellen. Sehr beeindruckend gelang der große, letzte Satz des Werkes mit seinen immer neuen thematischen Anläufen und einem wirklich nicht mehr irdisch zu fassenden Höhepunkt kurz vor einem sanften Ausklingen, dem eine sehr notwendige, spannungsvolle Stille folgte.
(1.9.)

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