Helmut Oehring in der Reihe „Komponisten zum Frühstück“ im Hygiene-Museum
Im Rahmen des Tonlagen-Festivals Hellerau finden in diesem Jahr auch wieder einige Kooperationsveranstaltungen statt. So konnte man am Sonntag im Dresdner Hygienemuseum einen „Komponisten zum Frühstück“ genießen. Trotz aller surrealen Bemühungen in diesem Jahrgang: das Motto dieses Konzertes muss nicht wörtlich genommen werden, es gab lediglich Croissants und Kaffee. Wohl aber war ein Komponist zum Frühstück geladen, das spezielle Format wurde von „courage“, dem Dresdner Ensemble für zeitgenössische Musik initiiert und fand – im erfreulich gut besuchten Marta-Fraenkel-Saal – bereits zum zweiten Mal statt, diesmal mit dem Berliner Komponisten Helmut Oehring.
Und wirklich: die lockere Atmosphäre eines Frühstücks verband nicht nur die Konzertbesucher, sondern konnte auch atmosphärisch die Trennung zwischen Bühne und Auditorium überwinden. Helmut Oehring und Wolfgang Lessing konnten im Gespräch mit die Zuhörer behutsam und gleichzeitig pointiert an die Musik heranführen. Oehring ist als hörendes und sprechendes Kind gehörloser Eltern aufgewachsen und kam erst im Alter von 25 Jahren als Autodidakt zum Schreiben von Musik, wurde dann Meisterschüler von Georg Katzer – im Gespräch benutzte er das Wort „Unselbstverständlichkeit“ für diesen nicht geraden Weg von Ausbildung und Lernen innerhalb der Kunst.
Seine Musik ist wie kaum eine andere stark vom Spracherlebnis, von visuellen und akustischen Ereignissen geprägt, fast möchte man meinen, nach der „visuellen Muttersprache“ der Gebärdensprache und der gesprochenen Sprache entdeckt Oehring auf dem Gebiet der Musik eine weitere, die er sich neugierig zu eigen macht – bescheiden klingt es, wenn Oehring selbst diesen Vorgang mit Worten wie „Transfer“ oder „Klangfotograf“ beschreibt. Wenn er sich dabei als Bekenntnismusiker sieht, drückt dies vor allem das künstlerische Müssen als „Einnehmen einer Haltung zu meiner Realität auf der Welt“ ein. Dabei legt Oehring den Finger in die Wunden und benennt eine Kunsttradition von Eisler, Dessau oder auch Jimi Hendrix, in der auch der Rezipient Auseinandersetzungen fernab des Zurücklehnens zu führen hat.
In den musikalischen Beiträgen kam diese zur (Re-)Aktion herausfordernde Haltung gut heraus: „Leuchter“ und „Melencoia I“ boten mit Heine, Dürer und der Holocaust-Leugnung des Amerikaners Fred A. Leuchter jede Menge „harte Kost“ – in beiden Stücken bahnt sich von Erschütterung getönte Sprache nur schwer einen Weg durch einen ganzen Scherbenhaufen von Gewalt und wörtlich zu nehmenden „Beats“. Vertonung und Komposition erscheint hier als Verantwortung, aber auch Anmusizieren gegen Unfassbares. Eine ganz andere Musikwelt bietet „Mischwesen“ (1998), eine Gemeinschaftskomposition mit Iris ter Schiphorst – das Poem „Silence“ von Anne Sexton wird hier auf fast liebevolle Weise untersucht und stellt die Artikulation, das Mitteilen in verschiedenen Klanglichkeiten in den Vordergrund.
Hervorragend interpretierten Christina Schönfeld (Gebärdensolistin) und die Courage-Mitglieder – allen voran Antje Thierbach (Oboen), die in allen drei Stücken atemberaubende Präsenz und Nachvollzug der Intentionen zeigte – die Oehring-Kammermusiken, die vor allem die Existentialität künstlerischen Tuns verdeutlichten. Keinesfalls wurden da beim Kaffee die Elfenbeintürme betrachtet, sondern die Musik betraf uns direkt und vermochte auch betroffen zu machen und stark nachzuwirken.
(21.10.14)
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