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Mozart, Dresden und die „Italianità“

Giuliano Carmignola und die Dresdner Philharmonie in der Frauenkirche

Attribute für einen Künstler sind oft unzureichend oder plakativ – aber was soll man machen, wenn einem angesichts eines fabelhaften Konzertes das Wort „Teufelsgeiger“ auf der Zunge liegt? Natürlich denken alle an den großen Virtuosen Niccolò Paganini, doch auch heute gibt es legitime Nachfahren, die mit ihrem Geigenspiel die ganze Welt verzaubern. Dass es dabei manchmal mehr auf Frisuren und eine perfekte PR-Maschinerie ankommt, ist wohl der Geist unserer Zeit. Doch es gibt gottlob noch einige Künstler, die sich – mit einem begnadeten Talent versehen – so sehr der Musik verschrieben haben, dass sie dies gar nicht nötig haben.

Dazu gehört Giuliano Carmignola, der in den letzten Jahrzehnten vor allem mit die Solokonzerte des Barock, der Wiener Klassik und der Sturm-und-Drang-Zeit mit frischen, historisch informierten Interpretationen und einem unwiderstehlichen klanglichen Zugriff aufgeführt und auch eingespielt hat. Für die Dresdner Philharmonie ist die Zusammenarbeit mit solch einem Künstler ein Glücksfall, nicht nur weil sie einmal andere Musik als das meist das 19. und 20. Jahrhundert bevorzugende Repertoire der Orchesterliteratur spielen dürfen, sondern weil Carmignola – als Solist und Leiter des Konzertes am Freitag – ein „spiritus rector“ im Wortsinne ist.

Im Programm gingen drei barocke Handschriften einem Violinkonzert von Wolfgang Amadeus Mozart voraus – es war spannend wahrzunehmen, wie auf diese Weise das Mozart-Konzert in den Kontext der Musikgeschichte eingebettet wurde, es durchaus auch „italienisch“ wahrgenommen werden durfte. Die Dresdner „Italianità“ war ebenfalls im Konzert vertreten: Antonio Vivaldis Ehrerbietung an die Dresdner Hofkapelle, das „Concerto per l’orchestra di Dresda“ g-Moll, eröffnete das Konzert schwungvoll und eine Sinfonia in derselben Tonart von Johann Adolph Hasse war gleichsam die Dresdner Antwort darauf. Auch das Konzert d-Moll für Violine, zwei Hörner und basso continuo von Carl Philipp Emanuel passte gut in diese Umgebung, bildete es doch mit seinem empfindsamen Stil eine Brücke zu Mozart.

Die Interpretationen waren mitreißend: in allen Werken ging es um weitaus mehr als bloße Tempoabsprachen und Grundphrasierungen. Der ganze Organismus Orchester – in der kleinen Besetzung natürlich auch viel filigraner und daher sehr um farbiges Spiel bemüht – fing unter Carmignolas Leitung an gehörig Leben zu versprühen, und man konnte mitverfolgen, wie solch eine musikalische „Arbeit“ binnen siebzig Minuten Konzertdauer die Protagonisten außerordentlich zusammenschweißt. Carmignola selbst faszinierte mit einem forschen, manchmal gar garstigen Ton, der aber niemals Grenzen überschritt und selbst in rasanten Passagen noch Schlankheit und edlen Klang aufwies – das begeisterte die Zuhörer derart, dass eine Zugabe unumgänglich war.
(28.9.14)

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Veröffentlicht in Rezensionen

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