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Mit innerem Furor

Schostakowitsch und Tschaikowsky im Kapell-Sinfoniekonzert

Es kommt selten vor, dass Partituren der großen Komponisten wie ein offenes Buch vor uns liegen und wir alles entschlüsseln können, was die Musik uns sagen will. Das ist gut so, weil so die Werke über die Jahrhunderte und mit dem Können und der Persönlichkeit der Interpreten immer neu erscheinen und die Faszination der Musik, die eben nicht immer Antworten auf alle Fragen gibt, erhalten bleibt. Zwei Meisterwerke der russischen Sinfonik hatte die Staatskapelle Dresden für ihr 6. Sinfoniekonzert ausgewählt, die man zu kennen meint – die Stücke werden oft gespielt, die „Pathétique“ von Peter Tschaikowsky, oft als sein Requiem bezeichnet, hat sogar Eingang in die Literatur gefunden.

Mit den ersten Takten, die der Solist Nikolaj Znaider im 1. Violinkonzert von Dmitri Schostakowitsch gestaltete, war jedoch klar, dass hier keineswegs ausgetretene Pfade betreten wurden. Dafür sorgte die unglaublich packende Präsenz des Geigers auf der Bühne, der den langsamen ersten Satz zu einer großen Klangrede formte, in der die Ausformulierung des Gesagten bis in die Punktierungen der Noten spürbar war. Mit einer solchen Vorrede war die Basis gelegt für ein Scherzo, das sich niemals in Fröhlichkeit erging, sondern durch Znaiders klare Ansage in Tempo und Phrasierung eher eine aschgraue Färbung erhielt – da lagen die Knochen der Musik blank, aber die Intensität des Spiels blieb durchweg hoch.

Znaider nahm diese in den 3. Satz mit, formte eine fast stählerne Kadenz und blieb auch im Finale überdeutlich, als seien Ausrufezeichen in die Partitur eingeschrieben. Die Konsequenz seiner Interpretation, die einen inneren Furor eben nicht durch rohe Übertreibung, sondern durch ein geerdetes Spiel erzeugte, wirkte sehr überzeugend. Nicht durchweg konnte Chefdirigent Christian Thielemann da mit der Staatskapelle exakt folgen – sehr gut gelang dies in der Übernahme der Klangfarben, manchmal weniger in rhythmischer Genauigkeit in schnellen, zwischen Solist und Orchester aufgeteilten Passagen.

Auch in der „Pathétique“, der 6. Sinfonie h-Moll von Peter Tschaikowsky galt es, die Ohren von möglichem Rezeptionsballast zu befreien. Trotz einer insgesamt sehr guten Aufführung befriedigte die Interpretation vielleicht nicht diejenigen, die vor allem die emotionale Größe des Werkes zuvorderst hören wollten. Dafür waren die Tempi etwa im Höhepunkt des 1. Satzes und im Finale zu zügig. Vieles war sauber und korrekt gearbeitet, was ja zunächst erst einmal eine Qualität ist, aber bei einem solchen Stück lohnt eben der Grenzübertritt jenseits des Schönspielens, die Nuance des Extremen in kleinen Details der Agogik eben doch. Interessanterweise blieben die Mittelsätze am deutlichsten in der Erinnerung – Thielemann kostete das „Allegro con grazia“ sehr delikat aus und verpasste dem Lebensmarsch des 3. Satzes gehörigen Zug, verließ aber dabei nicht den Kontext der Sinfonie. Insofern hatten auch die normalerweise tränenreichen Wellen des letzten Satzes in der hier energetischen, keineswegs ausschließlich Endgültigkeit verheißenden Deutung durchaus ihre Berechtigung.
(8.2.15)

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