Dresdner Philharmonie und Sol Gabetta veröffentlichen neue CD-Aufnahmen
Zum guten Ton eines städtischen Orchesters gehört neben der Absolvierung von Konzerten und Tourneen auch die Aktivität im Tonträgermarkt, nicht zuletzt für den heimischen Fan, der die Musik des Orchesters auch mit nach Hause nehmen oder verschenken will. Nach dem auf CD bei Genuin erschienenen Antrittskonzert von Michael Sanderling bei der Dresdner Philharmonie im Jahr 2011 gab es eine längere Pause, nun startet das Orchester durch: In den Konzerten der letzten Jahre war bereits der Augenmerk auf Sinfonik von Ludwig van Beethoven und Dmitri Schostakowitsch gelenkt – jetzt werden die Sinfonien in einem großangelegten Projekt bei Sony auf CD gepaart.
Stellt schon jeder der beiden Komponisten für sich genommen eine Herausforderung dar, sowohl als unbestrittenes Hauptrepertoire aller Orchester wie auch mit einiger Konkurrenz auf dem CD-Markt, so ist die Kombination von Beethoven und Schostakowitsch ebenso ungewöhnlich wie ohrenöffnend. Altes Neu hören wird da ebenso möglich, wie das Neue mit der Tradition zu hinterfragen. Die Kombination ermöglicht Kontrast und Widerspruch, was ohnehin dem Werk beider Komponisten originär innewohnt und bei dem CD-Erstling der Reihe, der die 6. Sinfonie der beiden vereint, in besonderer Weise zum Hauptthema wird. Denn diese Stücke sind sinfonische Sonderfälle: hier die in sich im Tempo steigerungsmäßig angelegte, seltsam kopflose dreisätzige Sinfonie von Schostakowitsch, die ein Werk des Zwischenraums scheint und mehr Fragen aufwirft als Antworten zu geben scheint.
Dort die „Pastorale“, die wie ein naturalistisches Exerzitium erscheint, legt man die gleichzeitig entstandene 5. Sinfonie daneben. Sanderling und die Dresdner Philharmoniker überzeugen in beiden Stücken mit dem aus den Konzerten wohlbekannten, warmen Sound – das wirkt nicht nur für beide Komponisten adäquat und kompetent, sondern läßt als Grundhaltung auch viel Flexibilität in verschiedene Richtungen zu. Beiden Stücken ist in der Interpretation gemeinsam, dass Sanderling nicht ins Extrem geht: Beethoven kommt in schlankem Gewande und außerordentlich kantabel daher, sein ländliches Gewitter schockt weniger als dass die langsamen Sätze beredt sind von einer ruhig dahinfließenden Zufriedenheit. Im Klangcharakter weist das interessanterweise weit in Richtung Schumann – die Empfindung, der persönliche Ausdruck als Träger der musikalischen Idee wird ernstgenommen.
Dmitri Schostakowitschs Sinfonie hingegen erhält Wucht und tiefe Emotion, der lange erste Satz ist voller Spannung und überragend ausgespielter musikalischer Details, das Allegro beeindruckt mit der von Sanderling fokussiert angelegten Steigerung zum Höhepunkt. Die Tempo-Zurücknahme des Presto-Finales überrascht und legt Groteskes frei – die Anmerkungen Sanderlings über Schostakowitschs „bewusst falsche Metronomangaben“ im Booklet reichen da allerdings nicht aus. Hier sollte man interessierten Hörern mehr an die Hand geben. Das gilt übrigens auch für das Cover: wer eher visuell beim CD-Kauf ausgerichtet ist, wird das altbackene Titelbild übersehen und damit kaum die vorgefundenen, anregenden Interpretationen in Verbindung bringen.
Bereits im August erschien eine weitere Veröffentlichung der Dresdner Philharmonie, hervorgegangen aus einem Nachwuchskünstler-Förderprogramm, das Konzerte und Aufnahme mit dem jungen Pianisten Alexander Krichel ermöglichte. Krichel gastierte im März 2015 im Schauspielhaus mit dem 2. Klavierkonzert c-Moll von Sergej Rachmaninov, das live eingespielt wurde. Diese Einspielung ist wohltuend klar und überhaupt nicht vordergründig auf Virtuosität gebürstet. Orchester und Solist folgen hier dem Prinzip einer sorgfältigen Klanggestaltung, was zu einem selbst im dritten Satz recht entspannten Hörerlebnis gerät. Als Zugabe sind die sechs „Moments Musicaux“ überaus hörenswert und machen Lust, die Entwicklung des jungen Pianisten weiter zu verfolgen – Krichel steuert außerdem ein selbstkomponiertes „Lullaby“ bei. Dass das Booklet weder den Pianisten noch das Dresdner Orchester biografisch würdigt, enttäuscht vor allem, da Hörer, die auf Entdeckungsreise gehen wollen, sich hier woanders weiterbilden müssen.
Sol Gabetta ist in dieser Saison Artist-in-Residence bei der Dresdner Philharmonie. Da sie erst im Frühjahr 2016 wieder im Konzert zu erleben ist, erscheint ihre soeben erschienene CD mit Werken von Peteris Vasks nicht nur als zeitliche Überbrückung geeignet. Die Musik des 1946 geborenen lettischen Komponisten ist den Dresdnern auch durch das Engagement der Philharmonie und ihres Konzertmeisters Wolfgang Hentrich, der etwa Vasks Violinkonzert „Fernes Licht“ und andere Werke aufführte, bestens bekannt. Sol Gabetta stellt nun das 2. Cellokonzert „Presence“ sowie zwei kammermusikalische Werke vor, die mit viel inniger Emotion gespielt und auch komponiert sind, stilistisch aber mit einfach behandelter Tonalität nicht konfliktfrei sind und den Hörer in eine überwiegend melancholische Stimmung bringen (sollen?). Wer sich darauf einläßt, wird aber mit Sol Gabettas überragendem Einsatz für diese Stücke belohnt. Sie singt (mit und ohne Bogen), tanzt, klagt und spricht mit ihrem Instrument und gibt diesen Stücken ein herzwärmende Klangcharakteristik – dies vor allem in den vielen solistischen Passagen, die im hier erneut auf CD aufgelegten „Buch für Cello Solo“ am zwingendsten erscheinen.
Alexander Keuk
* Ludwig van Beethoven / Dmitri Schostakowitsch: 6. Sinfonien, Dresdner Philharmonie, Michael Sanderling
* Sergej Rachmaninov: 2. Klavierkonzert c-Moll Opus 18, Moments Musicaux Opus 16, Alexander Krichel (Klavier), Dresdner Philharmonie, Michael Sanderling
* Peteris Vasks: 2. Cellokonzert „Presence“, Musique du Soir, The Book for Cello Solo, Sol Gabetta (Cello), Amsterdam Sinfonietta, Candida Thompson
(alle Sony Classical)
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