Schumann und Mahler im 2. Sinfoniekonzert der Staatskapelle Dresden
Es gibt sie noch, die Konzerte, die einen erst einmal nachdenklich vor der Tür der Semperoper stehen lassen. Was hatte man da gehört? Schumann und Mahler, sicherlich. Aber da war vieles so anders, so unerhört neu, und vor allem bewegend. Und plötzlich arbeitet es in einem, versucht man das Gehörte in seinen Horizont, sein Leben einzuordnen – und es ist erlaubt und bereichernd, neue Fragen zu stellen. Die Zutaten für ein solches Konzerterlebnis sind schnell benannt: zwei charismatische Vollblutmusiker am Dirigentenpult und am Klavier sowie ein Orchester, das Takt für Takt in diesem Ideenreigen nicht nur mitzieht, sondern das eigene Künstlerblut ebenfalls spielen läßt. Das komplexe Spiel mit den Kräften der Musik führte im 2. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle am Montagabend in der Semperoper zu einer Ausdrucksintensität, die man selten erleben dürfte.
Die bekannte, bescheidene Art des Ersten Gastdirigenten des Orchesters, des Koreaners Myung-Whun Chung, führte zu einem befreiten, an wichtigen Nahtstellen doch äußerst exakt und konzentriert geführten Spiel. Für Robert Schumanns Klavierkonzert war dies die beste Herangehensweise, um das vom Komponisten angelegte permanente Gespräch zwischen Solist und Orchester differenziert auszugestalten. Dem Solisten Sir András Schiff war schon zu Beginn anzumerken, dass hier ein großer Spannungsbogen mit Überlegung angelegt wurde: nach der eröffnenden Kaskade verharrten seine Arme auch während des Themas im Orchester über den Tasten. Alles ist verbunden in diesem Konzert, und alles gehört zusammen – das war die Essenz von Schiffs dichter, farbenreicher Interpretation, und man spürte, wie Schiff schon im Spiel die nächsten Wendungen antizipierte. Keinesfalls aber führte dies zu einem Vorauseilen der Musik; Solist wie Orchester nahmen sich Zeit, die Leidenschaftlichkeit auszuformen, und vor allem der 3. Satz erhielt von Schiff ein frei schwingendes, sehr gute Tempogefühl hin zum Schluss – Chung war mit den Kapellisten in diesem romantischen Wogen da ein aufmerksamer Partner.
In eine andere Welt tauchte Schiff mit der Zugabe ein, und doch war hier eine ähnliche „Arbeit“ im ausgleichenden Spiel zwischen Intellekt und Herz zu beobachten – die Aria aus Johann Sebastian Bachs „Goldberg-Variationen“ erhielt so eine fast realistische Klarheit, vielleicht auch etwas Lapidares, in jedem Fall aber war es eine Variation von Schönheit, die hier offenbar wurde.
Nach der Pause geriet Gustav Mahlers 5. Sinfonie in cis-Moll, ein weiterer Baustein in Myung-Whun Chungs Dresdner Mahler-Zyklus, zum zweiten Höhepunkt musikalischer Erfahrung an diesem Abend. Schon die einleitende Trompeten-Fanfare war ein Genuss, nach der Chung organisch den Trauermarsch des 1. Satzes mit einem dicken, berechtigten Fragezeichen anfügte: So viel Kern und Saft steckte da schon in der Musik, dass sich Mahlers Totentanz-Inszenierung in den Folgesätzen selbst auslöschte. Und zwar mit Drama, prallem Leben, innerem Singen im Adagietto und einem kunstvoll zelebrierten Kehraus. Was Chung mit einem kurzem Nicken oder Augenaufschlag da an Farben erzeugte, war staunenswert. Hörner, Klarinetten und Celli etwa liefen mit prägnanten Soli oder tollem Ensemblespiel zur Hochform auf, und vor allem die harmonische Anlage der Sinfonie drängte in Chungs völlig einleuchtender Lesart an das Ohr und steigerte noch einmal den Ausdruck.
Eigentlich hätte nach diesem entfalteten Panorama mit dem liedhaft fließend musizierten Adagietto am Ende nichts mehr kommen dürfen, Chungs Bauplan war hier schon vollkommen aufgegangen. Aber genau die Lesart des 5. Satzes als einem hier eigentlich nicht mehr zugehörigen, dennoch angebundenen eigenen Kunstwerk mit wiederum neuen Tönen machte die Interpretation als Gesamtes überzeugend und wohl auch einzigartig. Dass ein Dirigent mit so wenig offenkundig sichtbaren, dafür aber umso mehr durch Haltung und Einstellung vorhandenen Zeichen eine ganze Architektur einem 90-Mann-Orchester zu verstehen gibt, ist die Kunst, die wir Chung bei Mahler attestieren müssen. Laute Bravorufe aus den Rängen und Ovationen belohnten das Orchester und Dirigent Myung-Whun Chung, der am Ende auch den Musikern für eine Ausnahmeleistung dankte.
(4.10.2016)
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