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Ligeti in Partylaune

Dresdner Philharmonie und Karl-Heinz Steffens im Albertinum

Nicht immer muss es im Konzert einen roten Faden geben, der das Publikum treulich durch Bekanntes und Unbekanntes in der Musik führt. Manchmal offenbaren sich Gemeinsamkeiten auch erst durch die Gegenüberstellung von Werken, denen man so gar nichts Einigendes zutraut. Ist es verwegen, in der Harmonik des frühen Ligeti den postviktorianischen Charme eines Vaughan Williams festzustellen? Oder erliegt man einfach in beiden Fällen dem Charme von modalen Kadenzen obwohl sie ganz Herkunft sind? In jedem Fall war es außergewöhnliche, nicht oft zu hörende Musik, die auf dem Programm der Dresdner Philharmonie am Sonnabend im Albertinum stand. Am Pult des Orchesters war zum wiederholten Mal der GMD der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, Karl-Heinz Steffens zu Gast – schon 2011 machte er ja im Kulturpalast mit einer hervorragenden Bruckner-Interpretation auf sich aufmerksam.

Für Einspielungen von Musik des 20. Jahrhunderts bekam er samt seinem Ludwigshafener Orchester bereits einen „ECHO Klassik“ überreicht – und der erste Konzertteil war eben ganz dieser Musik gewidmet. So löste sich schon die Vorfreude beim ersten Stück ein: György Ligetis „Concert Romanesc“ (1951) ist zwar ein frühes, verhalten avantgardistisch agierendes Werk des großen Komponisten, jedoch frönt Ligeti bereits seiner Leidenschaft in puncto Rhytmik und Klangfarbe, und die Melodien aus der rumänischen Volksmusik sind hier Basis eines sinnlich ausgebreiteten Spielteppichs. Mit freudigem Präzisionswillen gingen Steffens und die Philharmoniker hier zu Werke, und genau das ist eine Haltung, die Ligetis Musik entfesselt. Die Alphornechofantasien und Heike Janickes Dorfkneipen-Solo der Violine im letzten Satz sorgten in diesem Kontext genau für die Stimmung des Bukolischen und eine gepflegte, weil von Steffens überaus sorgfältig auf den Punkt gebrachte Partylaune.

Solchermaßen war man gut vorbereitet für das Doppelkonzert „Janus“ des diesjährigen „Composer in Residence“ Heinz Holliger. Der hatte das Duo Violine und Viola – seit Mozart vielfach kompositorisch betrachtet – über die Janus-Thematik des Doppelköpfigen, Gegensätzlichen neu erfasst: mal als Paar, dann wieder als harmonisches Ganzes, dann wiederum als These und Antithese. Für die Dresdner Aufführung konnten die beiden Solisten der Uraufführung gewonnen werden; es sind zwei herausragende Musiker, die eine lange Freundschaft und Verbindung in der Kammermusik eint: Thomas Zehetmair (Violine) und Ruth Killius (Viola) gaben dem Konzert vom ersten Takt an Gesicht und Gestalt.

Spannung baute Holliger vor allem durch einen stets spielerisch wirkenden und sich immer wieder neu generierenden Klangstrom auf, der mal wie eine sich windende Schlange wirkte, mal als Sturmwind mit Luftgeräuschen durch das Orchester stob. Die Verbindung der Soloinstrumente mit jeweils passenden Partnern wie Altflöte oder Englisch-Horn im Rücken stiftete überdies einen klanglichen Reiz. Karl-Heinz Steffens setzte das alles mit Übersicht und Klangsinn in Szene, so dass Zehetmair und Killius vorne trotz des äußerst hohen technischen Anspruches des Stückes nahezu frei aufspielen konnten – eine solch packende Demonstration zeitgenössischer Musik erlebt man selten.

Frei, volltönend und mit erdig-wohligem Klang, so tönte dann nach der Pause Ralph Vaughan Williams „A London Symphony“ (1912/1913) durch das Albertinum, und man fragt sich, warum dessen Werke so selten Eingang in die Konzertprogramme des europäischen Festlandes finden. Die Interpretation der Philharmoniker war voller Finesse: Karl-Heinz Steffens veredelte die Sinfonie mit guter dynamischer Ausbalancierung der Motive, drang tief in die Details ein und kümmerte sich nach dem wunderbar pulsierenden Scherzo im Finale zwar auch um kraftvoll angelegte Höhepunkte, doch die nach und nach versiegende Musik der letzten Takte war wohl der schönste Moment dieser meisterlichen Sinfonie, die endlich auch einmal auf dem philharmonischen Programm stand. Dafür gab es großen Applaus.

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