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Wohltemperierte Haifischflossensuppe?

Das „Große Chinesische Neujahrskonzert“ gastierte in der Semperoper

Andere Länder, andere Sitten? Natürlich, und das gilt nicht nur für die täglichen Gebräuche, sondern – in gleicher Weise über Jahrtausende gewachsen – vor allem für die Kultur. Was in regionaler Entfernung noch verständlich und erklärbar scheint, weitet sich in kontinentaler Distanz gerne einmal zum „Kulturschock“ – gilt das auch für die Musik? Beim „Großen Chinesischen Neujahrskonzert“ konnte man dies am Sonntagvormittag in der Semperoper einmal für sich selbst überprüfen, und siehe da, kaum etwas kam einem da fremd oder gar exotisch vor, wobei die Eindrücke bei jedem Besucher variieren dürften. Dennoch verdient dieses in Dresden erst im zwanzigsten Jahr seines Bestehens angekommene und sicher auch deswegen nur von sehr wenigen Besuchern wahrgenommene Konzertformat natürlich mit dem Exotismus seine Meriten: Instrumente, die man nie zuvor gesehen oder gehört hat! Eine angeblich „traditionelle chinesische“ Musik höre man da und wer dann noch glaubt, die Chinesen würden tatsächlich mit solchen Konzerten ihr Neujahrsfest begehen, ist dem Feierwillen der chinesischen Agentur tatsächlich auf den Leim gegangen.

Aber sei’s drum, zwei Stunden erbauliche Musik aus dem Reich der Mitte verbreiteten beim Publikum Freude und Begeisterung, auch wenn der von Moderator Gerhard Schmitt-Thiel eingangs verlautbarte Hinweis, die Musik solle am Hirn vorbei direkt zur Seele gelangen ganz sicher nicht Konfuzius zugeschrieben werden sollte – wie überhaupt ihm zugeschriebene Sinnsprüche in der heutigen globalisierten Welt in direkter Anwendung zu einigem Schiffbruch führen würden. Ob man an der Musik erkennen würde, ob ein Land „wohl regieret und gut gesittet sei“, wie es Konfuzius einst proklamierte? Im „Großen Neujahrskonzert“ kam jedenfalls zu Tage, dass die Chinesen (auch) in der Kultur Meister in erfolgsorientierter Assimilierung sind. Das chinesische Sinfonieorchester mit Erhu, Pipa & Co. ist nämlich keinesfalls über Jahrhunderte gewachsen, sondern wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach dem Vorbild der westlichen Orchester, aber eben mit chinesischen Instrumentarium gebildet. Bis heute kann es von kulturrevolutionärer Propaganda bis zu höchst artifizieller Kunstmusik viele Bereiche abdecken.

Die Zuhörer in der Semperoper bekamen einen Geschmack davon, was „zeitgenössische Musik“ für einen chinesischen Komponisten bedeutet. Manche der vorgestellten Orchesterstücke verrieten das intensive Studium der Partituren von John Williams und Hans Zimmer, aber Effekt und Lärm passen ja wiederum zum Wesen des Feuer-Hahns, der seit dem 28. Januar das chinesische Jahr bestimmt. Sehr viel komplexer ist der Anspruch allerdings bei traditioneller orientierten Komponisten. Das Hörergebnis wiederum verblüfft ein westliches Ohr sowohl deswegen, weil es kaum Polyphonie gibt, dafür aber symbolreiche rhythmische und harmonische Gebilde, deren Bezüge weit über die Werke selbst hinausreichen.

Tradition / uoıʇıpɐɹʇ


Eine Irritation entsteht aber auch, weil das annähernd westlich temperierte und mit Celli, Kontrabässen und Harfe versehene Orchester einen Kompromiss darstellt – und somit die als Zugabe (in Dresden!) gegebene „Berliner Luft“ für eine wunderbare Schräglage im Ohr sorgte. Höchst professionell agierte das Guangdong National Orchestra of China unter der Leitung von Zhang Lie an diesem Vormittag vor dem hier wie bei keinem anderen Konzert so herrlich deplatziert wirkenden Schmuckvorhang der Semperoper. Und den größten Eindruck hinterließ nicht die vor dem Hintergrund des Shark-Finning recht fragwürdige musikalische Würdigung einer Haifischflossensuppe, sondern die kurzen, dennoch im westlichen Sinne virtuos zu nennenden Solokonzerte für die Bambusflöte, Trommel, Erhu (Spießgeige) und Pipa (einer chinesischen Laute).

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