Marek Janowski dirigiert Bruckner im Kulturpalast
„Dass ich das noch erleben darf“ ist ein bekannter, oft mit einem Erleichterungsseufzer einhergehender Ausspruch, dem gleichzeitig die eigentliche Unmöglichkeit des Ereignisses innewohnt. Ende April wird der Dirigent Marek Janowski vielleicht mit diesem oder einem ähnlichen Satz nach Dresden geschaut haben, als sich die Tore des Kulturpalastes nach fünf Jahren Umbau öffneten – und nach ganzen 14 Jahren, nachdem Janowski konsequenterweise seine Chefdirigentenposition bei der Dresdner Philharmonie eben wegen des Stillstandes in der Baufrage aufgab. Damals gab es versteinerte Mienen, dabei hatte Janowski nichts weiter als Qualität für sein Orchester eingefordert. Es hat einen größeren Atem gebraucht, aber letztlich ist der Konzertsaal fertig geworden, und Janowski gebührte die Ehre, ihn als einer der ersten Musiker zu bespielen – dem Orchester war er in den vergangenen Jahren ohnehin freundschaftlich verbunden geblieben.
Mit der Patina von Versöhnung und Vergangenem hielt sich Marek Janowski am Sonnabend nicht auf – er schenkte dem Dresdner Publikum einen in unmittelbar erlebbarer Gegenwart packenden Bruckner-Abend, der es in sich hatte. Denn von den ersten Takten der Musik an war hier jedem Zuhörer klar, dass sich Janowski weit jenseits der ersten Saaleroberung mit Probieren und Ausprobieren verortete. Hier ging es schon um das tiefe Eindringen in die Werke, um Interpretation und Haltung, natürlich mit dem gebotenen Respekt des Erstaufführungsgefühls der beiden Bruckner-Werke in diesem Saal. Erstmalig erklang mit der 2. Messe e-Moll von Anton Bruckner eine geistliche Musik im Kulturpalast, zu deren architektonischer Größe und Weite ein jeder Chor sich erst einmal positionieren muss.
Mit dem MDR Rundfunkchor (Einstudierung Michael Gläser) hatte Janowski ein seine Intentionen unverzüglich umsetzendes, flexibel und klangschön agierendes Ensemble zur Verfügung. Die Positionierung des Chores auf der Hauptbühne samt des im engen Pulk mittig sitzenden Bläserensembles erschien gerade für ein Werk mit vokaler Hauptrolle in spätromantisch dichtem Satz passend. Akustisch erschien erneut ein in den Obertönen problematischer Grenzbereich in den oberen Dynamikstufen auf, dem Janowski aber mit kluger Disposition begegnete. So erhielt der Höhepunkt im Sanctus fast eine sanft schwingende Attitüde, und die Tempi waren ideal in der Mitte zwischen großbögigem Aussingen und sprachlicher Botschaft angesiedelt. Nur staunen durfte man, wie lapidar und gleichzeitig vollkommen überzeugend Janowski die Mess-Sätze beendete, Abrundung und Kontemplation verbindend. Das Sahnehäubchen dieser Aufführung waren die philharmonischen Bläser, die eindrucksvoll mit dem Chorsatz verschmolzen und auch in solistischen Linien immer weich und differenziert klangen.
Nach der Pause, in der die Orchesterwarte in flotter Logistik einen Komplettaufbau des Orchesters hinlegten, – auch das will einmal geübt sein – stand die 6. Sinfonie A-Dur von Bruckner auf dem Programm. Im Mittelpunkt der neun Sinfonien des Meisters zwischen sinfonischen Kolossen stehend, gibt sich die Sechste als lichtes Kleinod mit manchem genialen Einfall. Marek Janowskis typischer Bruckner-Sound stellte sich gleich in den ersten Takten ein, denn die Philharmoniker und der Dirigent verstehen sich und die schwingende Vorwärtsbewegung, auf der Janowski die Architektur bettet, braucht nicht erklärt zu werden. Dementsprechend gelang Atemberaubendes: die Steigerungen des ersten Satzes modellierte Janowski noch, griff hier und da in den sich ihm präsentierenden Gesamtklang leicht korrigierend ein, ließ dann aber viel freies Musizieren zu und motivierte die Streicher, die herausragenden Hörner und die übrigen Bläser zu vielen fein empfundenen Höhepunkten samt prägnant herausgearbeiteter Details.
Das weitere Lernen und Staunen über den Konzertsaal hält natürlich an: dass ein lauter Schlussakkord nicht wirklich verklingt, sondern rasant wie in einem ICE-Tunnel verschwindet, war die merkwürdigste Erkenntnis des Abends. Wunderbar hingegen wirkten die vielen leisen Momente der Sinfonie: Gänsehaut stellte sich beim Versiegen des Adagios ein, das Janowski beinahe in Mahlerscher Dimension abebben ließ, und die Verästelungen und plötzlichen Kontraste im Scherzo formte der Dirigent nicht mit der Tür ins Haus fallend, sondern mit respektvoll-wissendem Zugang. Für diese äußerst intensiven zwei Stunden Musik des zurückgekehrten Marek Janowski gab es einen starken, zustimmenden Beifall, der kaum enden wollte.
* Marek Janowski dirigiert die Dresdner Philharmonie erneut am 20. und 21. Mai im Kulturpalast mit der 6. Sinfonie von Gustav Mahler, außerdem leitet er am 21.5. auch das Philharmonische Kammerorchester im Hygiene-Museum.
ich freu mich ungemein auf den 20. 😉 — danke für die worte und erklärungen.