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Die Quellen der Inspiration versiegen nie!

Ein Gespräch mit dem Cembalisten Mahan Esfahani anlässlich seines Konzerts beim Sächsischen Mozartfest „Mozart und Böhmen“ am 28. Mai 2017

Der Cembalist Mahan Esfahani ist Weltbürger, und das nicht nur, weil er derzeit die Bühnen der Welt mit seinem Instrument erobert, sondern weil er sich auch in der ganzen Welt zu Hause fühlt, die Erfahrungen und Kulturen aufnimmt und die Musik verschiedener Kulturen und Epochen den Menschen im Konzert wieder zurückgibt. Esfahani lebt in Prag, und auch dies war ein besonderer Grund, ihn zu seinen persönlichen Erfahrungen zu „Mozart und Böhmen“ und seinem besonderen Konzertprogramm am 28. Mai 2017 in Chemnitz zu befragen.

Mahan Esfahani, Sie sind Iraner, Sie haben in London studiert. Vor einiger Zeit sind Sie nach Prag gezogen. Was waren Ihre Gründe dafür – als Cembalist könnten Sie ja an jedem Platz der Welt leben?

Ausschließlich lebe ich in Prag nun seit fast zwei Jahren. Ich bin im September 2015 hierher gezogen, zuvor bin ich schon drei Jahre gependelt, um bei der großartigen tschechischen Cembalistin und  wunderbaren Persönlichkeit Zuzana Růžičková studieren. Damals flog ich von London aus einmal im Monat für zwei, drei Tage hierher. Nach einiger Zeit dachte ich schließlich: „Ich fühle mich nie zu Hause in London, und ich bezahle eine enorme Summe Geld für eine Adresse, an der ich niemals wirklich lebe, also was tun?“ In der Zwischenzeit stellte ich fest, dass Prag nicht nur eine der schönsten Städte auf unserem Planeten ist, sondern überdies erschwinglich. Sie hat eine Menge Spaß und aktive Leute in meinem Alter zu bieten, zudem eine großartige Kaffee- und Teekultur! Prag ist also eine ideale Basis für Menschen wie mich, die auch sehr viel reisen. Und ich dachte: hier bleibe ich!

In Prag zu studieren und über längere Zeit nun auch zu leben bedeutet, dass Sie mit dem Prager Musikleben in stärkere Berührung gekommen sind. Wie würden Sie ihre musikalische Umgebung und die Atmosphäre der Kreativität und Performance in Prag beschreiben?

Nun, ich bin noch nicht sehr in die lokale Musikszene eingetaucht – mit der Ausnahme, dass ich schon viele Komponisten hier getroffen habe und einige Leute kennengelernt habe, die experimentelle Musik oder Hauskonzerte und Performances machen. Ich mag die Atmosphäre, auf diesem Level hier Musik zu machen – es gibt eine Sensibilität für Nonkonformität, die sehr ermutigend ist. Es scheint mir, dass  hier auch einige jüngere Künstler bewusster programmiert werden und dass dies einen Unterschied zu anderen Städten macht.

Wie gehen die Prager mit ihrer großen Tradition um, explizit mit ihrer reichen Musikgeschichte? Fühlen Sie da auch die Ursprünge? Sorgt man sich um die Musikpflege?

Tschechen haben einen tiefen Sinn dafür, wie ihre Musik ihre nationale Identität ausdrückt – das merken Sie am ehesten, wenn Sie sich vergegenwärtigen, dass „tschechischsein“ oder „Tscheche sein“ so lange von fremden Mächten unterdrückt wurde. Abgesehen davon interessiert mich wie diese besondere Betonung der nationalen Identität das Gespräch mit anderen musikalischen Stimmen einbezieht, sie zuläßt.

Mozart äußerte einst: „Meine Prager verstehen mich!“ Seine Kompositionen für die Theatertruppe um Pasquale Bondini waren ambitioniert und weitaus komplexer als diejenigen für den Wiener Hof. Fühlen Sie eine bestimmte Tradition auch in der böhmischen Musikerziehung? Was macht diesen Ort in der Mitte Europas so speziell?

Es gibt keinen Zweifel an dieser Tradition! Ich kann das nicht alles in Worte fassen, aber ich gebe Ihnen ein Beispiel. Sie werden hier kaum einmal etwa ein Kammermusik-Konzert finden, in dem das aufführende Streichquartett irgendetwas anderes ist als exzellent. Das hohe Niveau hier ist verblüffend, sogar von Ensembles der Akademien oder des Konservatoriums. Wenn man dann sieht, wie viele dieser Musiker Schüler oder auch Kinder und Enkel einiger der besten böhmischen oder mährischen Musiker des letzten Jahrhunderts sind, dann fängt man langsam an zu glauben, dass diese Art der Weitergabe in der Tradition ungebrochen ist. Ich weiß das exakte Zitat nicht mehr, aber ich glaube im 18. Jahrhundert war es der berühmte Musikhistoriker Charles Burney der in den böhmischen Dörfern bereits das hohe Niveau der Streicher und Klavierspieler unter den Kindern entdeckte.

Das heutige Konzert enthält Musik von Johann Baptist Vanhal und Josef Mysliveček . Oft reden wir da aus ungenügendem Wissen heraus lediglich von „Mozarts Zeitgenossen“. Sollten wir ihnen nicht ihren individuellen Status zuerkennnen? Viel Musik ist noch von den Prager Bibliotheken zu entdecken – welche Schätze konnten Sie schon während ihrer Residenz in Prag heben?

Ich habe in den ersten zwei Jahre meiner Pragbesuche erst einmal die reichen Traditionen entdeckt, von denen ich gar nichts wusste, aber von denen die Tschechen selbst aufrichtig stolz sind und auch bewusst. So begann ich die Musik der Benda-Brüder, von Mysliveček, Tomášek  und František Xaver Dušek  – Mozarts sehr gutem Freund – zu studieren. Es ist schon verrückt – wenn wir diese Perioden oder Nationen mit Respekt zur Aufführungspraxis verallgemeinern, tun wir es, damit wir Stile verallgemeinern können. Aber gerade in der klassischen Periode ist die Uniformität höchst trügerisch und wir sollten das ignorieren. In Wirklichkeit hat doch jeder Komponist eine individuelle Stimme und ich würde sogar so weit gehen, dass es möglich ist eine „böhmische“ Stimme in Sachen des melodischen Stils oder der harmonischen Fortschreitung zu identifizieren.

Sie spielen ein Konzert von Jiří Antonín Benda, einem böhmischen Komponisten, der zumeist in Potsdam und Gotha gewirkt hat. Mozart erhielt eine große Inspiration von seinen Reisen, die aber natürlich auch ökonomische Gründe hatten. Ihre Landmarken lagen bislang in den USA, in Prag, in London – wie wichtig ist es heutzutage als Musiker überhaupt zu reisen und verschiedene Musikkulturen zu erfahren? Oder reist man, um den Platz für sich selbst zu finden, an dem man sich verwirklichen kann? Ist es eher eine Frage vom Geben und Nehmen der Inspirationen?

Für mich zumindest war es unglaublich wichtig. Ich beneide manchmal gewisse Musiker, die in einem Land aufwuchsen, die meisten ihrer Studien im selben Land absolvierten oder zumindest sehr direkt in ihre Heimat zurückkehrten, nachdem sie woanders studierten – und zumeist sind sie dann sehr willkommen und geachtet. Die Wahrheit ist, dass ich niemals so ein Land hatte, daher war ich gezwungen, überall und nirgends zu leben. Und doch – genau das ist eigentlich eine wunderbare Sache. Weil ich keine echte Identität habe, ist mir die Möglichkeit gegeben, dass die ganze Welt mein Land ist. Ich konnte mich glücklich schätzen, dass die ersten Länder, in denen ich in Berührung mit in europäische Kultur kam, Italien und Frankreich waren, und zwar in Bezug auf Sprache und ästhetischer Philosophie. Später lebte ich in London – das ist in vielerlei Hinsicht immer noch eine Art „Mutter der Welt“ in der Art, dass die Stadt ein Zentrum für Menschen jeglicher Ethnie und Erfahrung ist. In den letzten zwei Jahren habe ich zudem viel Zeit in China verbracht und die chinesische Sprache und Kultur intensiv studiert. – Ich denke, die Quellen der Inspiration versiegen nie, sogar in Bezug auf die Annäherung an ein Werk des – sagen wir – Deutschland des 18. Jahrhunderts. Es gibt eine Menge Leute mit einer defensiven Haltung zur klassischen Musik, die denken, dass das was ich sage, absurd ist. Aber ich glaube, dass die Tradition der klassischen Musik, ihrer Ausübung und Aufführung vor allem, insbesondere vor der Mitte des 19. Jahrhunderts immer so angelgt wurde, dass sie für neue ästhetische Umstände leicht anwendbar, adaptierbar war.

Das erste Klavierkonzert von Mozart ist eigentlich ein Pasticcio. Es war damals üblich, Musik anderer Komponisten zu benutzen und neu zu arrangieren. Wie viel „Mozart“ hören wir denn hier? Ist diese Musik eine Art Basis, eine Grammatik für spätere eigene Kompositionen?

In Bezug auf diese Frage kann man sich anschauen, wie damals improvisiert wurde und welchen Stellenwert eine Komposition als solches hatte. Im 18. Jahrhundert waren diese Disziplinen sehr eng verbunden. Wenn wir sprechen, dann komponieren wir bereits, ist es nicht so? Und wir werden bessere Sprecher und Komponisten der Sprache, wenn wir mehr lesen und denken, richtig? Darum etwa können sich auch Kinder von literaturaffinen Eltern sehr gut ausdrücken. Was ich sagen will, ist, dass Mozart von jüngstem Alter an eine Art Selbsttraining betrieb, die seit jeher der Eckstein seines musikalischen Denkens war. Wie lernt man ein musikalisches Vokabular? Mit Lesen, Kopieren, Studieren und Anwenden von Werten. Das sind Trainingsreifen, die dann abgeworfen werden können, sobald man die eigenen Werte gefunden hat. Es ist erstaunlich, dass in der Welt der Aufführungspraxis dieser letzte Punkt noch nicht ganz verstanden worden ist, und wir den Kopien eines Meisters einen so wichtigen Stellenwert zumessen und darüber diskutieren müssen. Ich denke nicht, dass Bach oder Mozart darüber viel nachgedacht haben.

Wie würden Sie die „Pöbel-Variationen“ beschreiben? Folgt man den Quellen, so hat Mozart die Variationen über ein Thema aus der Oper „Die Pilgrime von Mekka“ von Christoph Willibald Gluck selbst zum ersten Mal öffentlich gespielt, als sich Gluck auch im Publikum befand. Wir wechseln hier zwischen Ernst und Humor hin und her. Wie wichtig ist der Aspekt von Humor und Lebendigkeit, wenn man Mozart spielt?

Ja, können Sie das glauben? Gluck im Publikum! Ich kann mir vorstellen, dass Mozart sogar ein wenig eingeschüchtert vom großen Gluck war, aber vielleicht gab es eine nette, wortlose Konversation zwischen den beiden im Saal. Natürlich darf man nicht vergessen, dass Mozarts Variationen in einem Genre stehen, deren österreichische Tradition weit zurückreicht bis Johann Jakob Froberger – immer mit der wesentlichen Idee, dass ein Komponist die Möglichkeiten der Farben und Nuancen eines Themas erforscht und ausreizt. Humor ist dabei unumgänglich. – Ich stelle fest, dass es wohl ein sehr selbstverständliches und auch klischeehaftes Statement ist, aber es ist wahr: Mozarts Welt ist das Theater. Wenn Sie nicht das Theater verstehen, verstehen Sie auch Mozart nicht. Nebenbei – obwohl ich sehr am Theater interessiert bin, heißt das nicht dass ich Mozart automatisch gut spiele – aber es ist Zeit für mich, in dieses Thema tiefer einzudringen, somit ist das heute auch ein Versuch, ein weiterer Schritt.

Welches Instrument spielen Sie heute? Und allgemein gefragt – mit welchem Tasteninstrument könnte man die Musik der Böhmen und Stücke der Mozartzeit in ihrer ganzen Farbigkeit abbilden?

Wir werden voraussichtlich eine Kopie eines Instruments von Michael Mietke aus Berlin benutzen, aus der ersten Dekade des 18. Jahrhunderts. Ich denke es hat keine direkte Verbindung mit böhmischer Musik oder Mozart, wirklich nicht. Das Instrument ist näher an der Welt von Bach, ich gebe das mit aller Redlichkeit zu. Aber es ist trotzdem auf seine eigene Weise farbenreich, und letztlich muss auch die Farbe und der Ausdruck vom Interpreten kommen. Ich denke, wesentlich ist der Wille zur Annäherung an das damalige Instrumentarium, das hilft uns die Musik zu verstehen. Das ist eine sehr grundlegende Sache. – Sind die Tore zu Mozart für mich verschlossen, weil das Cembalo ein früheres Instrument war? Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht. Ich glaube nicht, dass es so sein sollte.

Das Gespräch führte Alexander Keuk.

Mahan Esfahani und das La Folia Barockorchester, 28. Mai 2017, Chemnitz, Schloßkirche

Josef Myslivecek (1737-1787), Sinfonia in G
Johann Baptist Vanhal (1739-1813), Quartetto concertante op. 7 Nr. 1
Wolfgang Amadé Mozart (1756-1791), Klavierkonzert Nr. 1 F-Dur KV 37
Wolfgang Amadé Mozart, Zehn Variationen G-Dur über „Unser dummer Pöbel meint“ aus Glucks Oper „Die Pilger von Mekka“ KV 455
Jirí Antonín Benda (1722-1795), Konzert in g-Moll für Cembalo und Orchester

Foto (c) Bernhard Musik / DG

 

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