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Einfach grandios.

Das Gustav Mahler Jugendorchester gastierte mit Olivier Messiaens „Turangalîla“-Sinfonie in Dresden

Normalerweise ist ein Beben keine lustige Sache. Wenn es allerdings musikalisch verursacht wird und über 90 Minuten und zehn Sätze währt, hat man es mit Olivier Messiaens 1949 uraufgeführter „Turangalîla“-Sinfonie zu tun – einem mächtigen sinfonischen Hymnus, der alle Vorstellungen von einer Sinfonie sprengt. Das außergewöhnliche Werk – die Aufführung der Sächsischen Staatskapelle zu Messiaens 100. Todestag unter Myung-Whun Chung ist noch in Erinnerung – ließ am Sonnabendvormittag die Kronleuchter im vor zwei Jahren eingeweihten Konzertzimmer in der Semperoper ordentlich vibrieren.

Was positiv zu befürchten war und sich auch einlöste: das Gustav Mahler Jugendorchester unter Leitung von Ingo Metzmacher, das wieder zur Saisoneröffnung der Staatskapelle in Dresden gastierte, zog sämtliche Register dieser fantastischen messiaenschen Orchester-Orgel. Das über 100-köpfige Ensemble überzeugte aber eben nicht mit brachialer Gewalt, deren verständlicher Ansatz an der Großen Trommel von Metzmacher hier und da sofort eliminiert wurde, sondern mit unglaublicher Differenzierung von Rhythmus, Harmonik und vor allem, und das war die eigentliche Überraschung, einem mächtigen Spannungsbogen über die ganze Aufführung hinweg.

Denn das Werk trägt durchaus eine Gefahr der Zersplitterung und eines Spannungshängers vor allem im zweiten Teil in sich, nachdem der Komponist eigentlich mit dem Schluss des 5. Satzes schon einmal die Ekstasenapokalypse ausgefahren hat. Dem entging Metzmacher mit überaus genauer Betreuung seiner jungen Musiker, die eben dafür „90 Minuten Stuhlkante“ – anders ist dem Stück auch mit Erwachsenen kaum beizukommen – aufboten und dementsprechend am Ende eher arbeitsgezeichnet, durchatmend-erschöpft den schmetternden Applaus entgegennahmen. Ein Kinderspielplatz ist diese Sinfonie nicht, aber das Gustav Mahler Jugendorchester besteht auch in diesem Jahr durchweg aus herausragenden Talenten, die mit den technischen Anforderungen souverän umgehen und viel Verständnis für Messiaens extreme Wanderungen aufbringen. Der komplexen Thematik der Sinfonie, die quasi nonverbal Stationen von Leben, Liebe und rhythmischem Spiel schichtet und reiht, begegnen die Jugendlichen mit Aufgeschlossenheit und geben ihre eigenen Perspektiven der Emotionen rund um Liebe, Freude, Tanz oder Glauben hinzu.

Musikalisch zeigte sich dies in packendem Zugriff etwa der Blechbläser, aber auch im intensiven leisen Spiel etwa der beiden fantastischen Klarinettistinen oder des Vibraphons. So waren die filigranen – nicht weniger schwer zu interpretierenden – Satzpassagen etwa in Turangalîla I-III oder im sanft strömenden 6. Satz im „Garten des Schlafes der Liebe“ die eigentlichen Höhepunkte der Aufführung. Schon zu Beginn zeigte sich in Ingo Metzmachers völlig eindeutigem Dirigat der Wille zur unbedingten Transparenz der vielen Ebenen dieser Sinfonie, und man muss klar sagen, dass ich auch mit verschiedenen Aufnahmen verglichen eine derartige Bloßlegung der Struktur dieses Werkes selten erlebt habe. Dabei gelang es Metzmacher zudem, immer wieder ohne Verlust des Flusses in das Geschehen einzugreifen und besondere Klangmomente zu schaffen, etwa in der Vorbereitung der Klavierkadenz im 4. Satz oder mit der ausgestellten Langsamkeit der Liebes-Akkorde in der Mitte des 8. Satzes, „Développement d’Amour“.

Dort war ein wunderbar warmes forte erreicht, das eben knapp unterhalb des „nur lauten“ Spiels angesiedelt war – und genau dort entwickelten sich schillernde Farben der Obertöne. Gegenseitiges Hören, Motivieren, ein vehementes Zunicken im Tutti, wo eigentlich die Grenze erreicht war – es geht noch mehr, bedeutete der Dirigent den jungen Musikern. Ihm zur Seite spielte ein überragender Jean-Yves Thibaudet den Monsterpart des Klavier-Solos, und auch da geschah Magisches: im größten Dickicht der sich motorisch voranschiebenden Schichtungen differenzierte Thibaudet noch aus, legte stets feine Artikulation an, wo andere in stoisches Wirbeln verfallen würden. Dazu gab die auswendig spielende, mit Messiaen höchst erfahrene Valérie Hartmann-Claverie an den Ondes Martenot viel Empfindung und gefühlte Endlosigkeit ihrer Melodielinien dazu. Heraus kam eine schlicht grandiose Aufführung, die lange nachhallte.

Foto (c) Alexander Keuk

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Veröffentlicht in Rezensionen

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