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Zauberformel Klangfarbe

Daniel Barenboim und die Berliner Staatskapelle zu Gast bei den Palastkonzerten

Es dürfte nicht zu bestreiten sein, dass die Dresdner den Berlinern einen Schritt voraus sind, was den emotionalen Spannungszustand vor der Eröffnung eines neuen, alten Hauses angeht. Insofern war das Dresden-Gastspiel der Staatskapelle Berlin unter Leitung von Daniel Barenboim vielleicht einer – eindeutig hömoopathischen – Beruhigungspille ähnlich, denn seit sieben Jahren wird das „Wohnzimmer“ Barenboims, die Staatsoper Berlin, mit nicht wenigen Schlagzeilen und unter großer Anteilnahme der Berliner Bevölkerung saniert und umgebaut – die Wiedereröffnung steht kurz bevor. Da kam das Gastspiel im Dresdner Kulturpalast im Rahmen der an diesem Wochenende gestarteten Reihe der „Palastkonzerte“ der Dresdner Musikfestspiele gerade recht. Der Kosmopolit Barenboim hatte denn auch im gewissen Sinn ein Wohlfühlprogramm für Dresden ausgesucht: seine ganze Musikalität findet bei Mozart ein Zuhause, während der abgeschlossene Sinfonienzyklus von Anton Bruckner – jüngst sorgte das Ensemble damit in den USA für Furore – eine besondere Kompetenz von Orchester und Dirigent ist. Und doch begreift man als Zuhörer schon nach den ersten Tönen der Einleitung von Wolfgang Amadé Mozarts Klavierkonzert A-Dur KV 488, die sich am Montag im Kulturpalast Dresden vor ausverkauftem Haus entfalten, dass es Barenboim nicht nur ernst mit den beiden Komponisten meint, sondern dass das Lernen und Erfahren mit jeder Aufführung immer weitergeht.

Mit dieser Ausstrahlung ließ er seine Kapelle wunderbar ausmusizeren, startete – den Flügel inmitten des Orchesters platziert – den Solopart fast schon etwas lässig, aber immer mit feinem Sinn für Phrasierung, Betonung und vor allem: Klangfarbe. Dieser Parameter wurde zur Zauberformel für das gesamte Konzert, denn Barenboim mischte die Palette stetig neu und animierte damit auch sein Ensemble zu Höchstleistungen. So strahlte der 2. Satz des Klavierkonzerts in wunderbarer Ruhe, das piano war da nicht bloß eine Lautstärke, sondern eine Qualität des Raums, die Barenboim bei seinem ersten Gastspiel im Kulturpalast sofort erfasst, mit der er vertrauend spielt. Stille im Rund herrschte, als Barenboim hier das Wort Schönheit neu definierte und in die nonverbalen Schichten der Musik tief einstieg. Völlig logisch erschien es dann, dass er im 3. Satz auf Spaß, Freude und Licht des mozartschen A-Dur-Wunderwerks setzte und mit dem Orchester, das hier vor allem einen exquisiten Holzbläserklang beisteuerte, Einzigartiges formte.

Etwas anders liegt der Fall bei der letzten, der 9. Sinfonie d-Moll von Anton Bruckner. Diesem sinfonischen Vermächtnis interpretatorisch überzeugend zu begegnen, birgt allein aufgrund der unvollendeten Partitur schon viele Fragen in sich. Barenboim bleibt bei der Musik, beim Vertrauen in sich selbst und in die Flexibilität seiner Musiker, die er hier noch impulsiver, kraftvoller und dennoch sparsam durch das große, großartige Werk führt. Dennoch ist es legitim, auch als Zuhörer hier nichts Fertiges oder Eindeutiges mitzunehmen – Dirigieren heißt schließlich nicht, ständig weise Antworten auf alle Fragen der Welt zu formulieren, und eine Sinfonie kann auch ein Experimentierfeld sein, das in jeder Aufführung anders schimmert. Diese Haltung strahlte Barenboim in der Bruckner-Interpretation vor allem in den beiden langsamen Sätzen aus. Im 1. Satz musste sich der gemeinsame Atem der Musik erst entwickeln, so gelang Barenboim aber ein guter Bogen bis zur Reprise. Überraschend war dann aber eine sehr langsame Coda, die sich fast vom Satz abkoppelte.

Das „Scherzo“ (die Anführungszeichen sind erst recht für diesen Satz in der Neunten angebracht) nahm Barenboim als kurzen Ausflug in ein pralles, aber in der Wiederholung doch auch eher düster gezeichnetes Leben – mit einem etwas zu laut geratenen Trio in der Mitte, das auf diese Weise wenig als Kontrast wirkte. Der 3. Satz erhielt – nicht konfliktfrei inszeniert – eine Art verlorene Wucht, gleichsam eines ruderlosen Bootes auf einem See. Genau dies war aber ein exaktes Bild, das durch Barenboims permanentes Erforschen und Austarieren des Klangs entstand, was auch Widersprüche provozierte, denn mal überquerten die Streicher alle Grenzen zur süßlichen Süffigkeit hin, mal spielten sie kammermusikalisch äußerst transparent. Beides nebeneinander mit voller Absicht hergestellt wäre zwar ein Beweis für die enorme Variabilität des Klanges der Staatskapelle, aber nicht immer wusste man genau, wo diese Interpretation hinwollte. Hinreißend fahl hingestellte Dissonanzen der Holzbläser gehörten ebenso zum großen Erfahrungshorizont der Aufführung wie die fast zu schnelle Beruhigung nach dem vom Orchester schneidend-scharf modellierten Akkord auf dem Höhepunkt des Satzes. Der allererste schüchterne Applaus vom Rang, bevor Barenboim und das Orchester gebührend gefeiert wurden, stellte denn auch die zu dieser Sinfonie sinnigste Frage: Geht es weiter? Ist es vorbei? – Wir wissen es nicht. Die Musik geht immer weiter.

Foto (c) Oliver Killig

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