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Repertorio tedesco statt Belcanto.

Sächsische Staatskapelle Dresden gastierte in der Mailänder Scala

Wenig bringt es der eigenen Stadt, wenn man deren Schätze nur zu Hause hütet und nicht in die Welt trägt. Das gilt für Innovationen und Kunstwerke genauso wie für einen Orchesterklang. Der besondere Klang der Sächsischen Staatskapelle Dresden entfaltete sich nun in vier großen Musikhäusern Europas bei einer einwöchigen Tournee, von der das Orchester gestern zurückkehrte. In Frankfurt am Main, München und Wien eröffneten die Dresdner die jeweilige sinfonische Konzertsaison und wurden dafür besonders gefeiert – hier ist das Orchester regelmäßig zu Gast.

Nach der Alten Oper Frankfurt, dem Münchner Gasteig und dem Wiener Musikverein bildete das Gastspiel am Montagabend im Teatro alla Scala in Mailand den krönenden Abschluss der kurzen Reise der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Chefdirigent Christian Thielemann stand in dem berühmten Opernhaus das letzte Mal vor neun Jahren am Pult – mit der Staatskapelle Dresden gemeinsam, die dort zuletzt unter ihrem Ersten Gastdirigenten Myung-Whun Chung gastierte, war es überhaupt eine Premiere. Von der Reise zeigten sich die rund 80 Musiker höchst angetan, da das Orchester in allen vier Städten außerordentlich freundlich willkommen geheißen wurde – der Thielemann-Fanclub in München etwa ist nach wie vor existent und zur Stelle! Und natürlich beflügelte die Atmosphäre der ausverkauften Auditorien (rund 10.000 Zuhörer wurden in den fünf Konzerten erreicht) in diesen Konzerthäusern auch das Musikalische.

Berühmt ist die 1778 eröffnete „Scala“ inmitten von Mailand natürlich für Belcanto vom Feinsten und damit den Darbietungen der Werke von Bellini, Verdi und Puccini, die hier zum Teil uraufgeführt wurden – seit 2015 ist der frühere Gewandhauskapellmeister Riccardo Chailly für die musikalischen Geschicke des 2004 nach einer umfassenden Renovierung wiedereröffneten Hauses verantwortlich. Doch Christian Thielemann brauchte nicht mit Verdi glänzen, er wurde ausgiebig für sein „repertorio tedesco“ gefeiert, das er in Gestalt von Beethoven und Bruckner mit nach Mailand brachte. Ihm zur Seite gesellte sich der Pianist Rudolf Buchbinder, der im 1. Klavierkonzert C-Dur von Ludwig van Beethoven viel Frische und Lebendigkeit verströmte. Mit der Sächsischen Staatskapelle ist er seit Jahren mehr als nur musikalisch befreundet und diese Partnerschaft schlägt sich natürlich auch im gemeinsamen Atmen und kleinsten Nuancen des Miteinanders wieder: im stürmisch-selbstbewusst ausgestalteten Rondo war die kongeniale Steigerung des gesamten Werkes – von Thielemann, Buchbinder ebenso wie vom Orchester getragen – auf dem Höhepunkt angekommen.

Mit der 1. Sinfonie c-Moll von Anton Bruckner gelang aber nach der Pause noch ein weiterer Höhepunkt, der insofern außergewöhnlich war, da dieses Werk keineswegs zu äußerlichem Glanz und Prunk verhelfen kann. Und doch: erst recht gehörte dieses Werk auf die Gastspielreise, denn Thielemann spielte hier seine Stärken aus, das Orchester zu Höchstleistungen animierend. Bruckners frühe sinfonische Sinnsuche, hier gottlob in der strichlosen Originalfassung musiziert, verlangt eine Menge Verständnis, Kompetenz und auch – im besten Sinne! – Idealismus, um einigen ziellos wirkenden Schlangenlinien im Adagio oder plötzlich verebbenden, gleichwohl harmonisch höchst interessanten Tutti-Passagen gerecht zu werden. Hier zeigte die Sächsische Staatskapelle natürlich mit ihre besondere Bruckner-Erfahrung durch den mit Thielemann über mehrere Jahre angelegten Aufführungszyklus aller Sinfonien – die 1. Sinfonie wurde beim Münchner Konzert auch für die DVD-Produktion von Unitel mitgeschnitten.

Zudem, so die Musiker wörtlich, „gab man nochmal alles“, und wunderte sich gar über Zweiunddreißigstel, die plötzlich regelrecht davonflogen, aber im gemeinsamen turbulenten Wirbeln des Finales genau ihren Platz fanden. Davon waren die Zuhörer in Mailand so begeistert, das aus den Logen laute Bravi-Rufe ertönten. In einer dieser Logen befand sich an diesem Abend unter den Zuhörern übrigens auch ein gewisser Placido Domingo, der den Dresdnern – selbst hatte er das Orchester erst im Juni zum Musikalischen Picknick dirigiert – nach dem Konzert aufrichtig gratulierte. Wie die Sächsische Staatskapelle in Europa klingt, war in den vier Konzerthäusern erlebbar. Nach gut acht Wochen Oper und Konzert in der heimischen Semperoper geht es dann wieder im November in die Welt hinaus: Gastdirigent Alan Gilbert und Pianist Yundi werden mit der Staatskapelle zu vier Konzerten in China erwartet.

Foto (c) Matthias Creutziger

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Veröffentlicht in Rezensionen

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