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Bitte mehr Stromschnellen!

Dresdner Philharmonie mit Smetana, Lutosławski und Beethoven

Nach Wien oder Prag? So ganz wollte sich die Dresdner Philharmonie am vergangenen Wochenende nicht entscheiden, wohin die Reise geht. Einen dramaturgischen (funktionierenden) Hintersinn kann man den Konzerten der Dresdner Philharmonie in der ersten Kulturpalastsaison ohnehin nicht unterstellen. Da gibt es einen Strang, der mit „Wien“ betitelt ist, was aber offenbar nur noch zur Sortierung der Abonnenten taugt und alles Musikalische versammelt, was sich irgendwie an die Donau verorten läßt, so auch den Beethoven-Zyklus von Chefdirigent Michael Sanderling, der am vergangenen Wochenende mit der 8. Sinfonie F-Dur fortgesetzt wurde. Das Konzert war allerdings nach Smetanas „Moldau“ betitelt, was zwar angesichts des 12-Minuten-Stücks ebenso unsinnig erschien, aber der Kulturpalast war vermutlich schon deswegen ausverkauft, weil jeder zweite im Parkett sicher behaupten konnte: „Hab ich in der Schule gehabt!“.

Wien an der Moldau also, mit einem von einem Russen an der Themse uraufgeführten Cellokonzert eines Polen in der Mitte, am Sonnabend gespielt von einem pfälzischen Cellisten. Zuvor aber lauschte man den – heute versunkenen – Stromschnellen am Moldau-Fluss: Bedřich Smetanas Welthit, die sinfonische Dichtung aus dem Zyklus „Mein Vaterland“ war bei den Philharmonikern unter Michael Sanderling in guten Händen, wenngleich hier und da eine leichte Kanalisierung spürbar war. So ordentlich organisiert mag die Moldau zwar tatsächlich heute angesichts vergangener, verheerender Überflutungen fließen, doch die Sicherheitsgründe sollten bei der Wasserwirtschaft überwiegen, nicht aber im Sinfoniekonzert – der sprichwörtliche Funke wollte bei aller Schönheit und Akkuratesse nicht ganz überspringen.

Wenn leichte atmosphärische Störungen, die schon zu Beginn des Konzerts von einem im Rang vorwitzig blinkenden Oberlicht ausgingen, sich im folgenden Cellokonzert von Witold Lutosławski fortsetzten, dann waren sie hier auf jeden Fall der Musik inhärent. Von Unruhe und Spannung durchtränkt ist gleich der 1. Satz, den der Cellist Julian Steckel im Solo direkt mit dem Stimmen seines Instruments verband. Durch dieses Überraschungsmoment war man sofort von seinen Tönen in den Bann gezogen und lauschte dem Verästeln der Musik und den Konstrastbildungen, die Lutosławski hier zum Auffächern der Großform anlegte. Wie ein umgekippter Trichter geht dieses 1970 für den großen Mstislaw Rostropowitsch angelegte Werk vom Innen ins Außen, immer wieder durch den Solisten beschleunigt oder entschleunigt und in jedem Fall mit scharfkantigen Dialogen zwischen Orchester und Solo-Cello versehen, die losgelassen frei im Metrum schweben. Echte Stromschnellen eben, auf den Steckel sicher surfte und einen grandiosen Soloklang entwickelte. Schließlich hob er zu einem großen Gesang an, über den das hier nun endlich auch wilder agierende Orchester vor dem rhythmisch bestimmten finalen Ausklang einen riesigen warmen Klang ergoss. Da war nur noch eine kleine Bach-Zugabe als Ausatmung nach dem Applaus möglich – Julian Steckels hochemotionale Interpretation dieses modernen, eindrucksvollen Konzerts wurde stark bejubelt.

Am Ende obsiegte Lutosławski sogar über das finale sinfonische Werk, denn Ludwig van Beethovens melodische Milde in der manchmal etwas rührseligen 8. Sinfonie F-Dur kann und will mit solchem Weltensturz nicht mithalten – der erscheint erst eine Sinfonie später. Die „Achte“ zu packen, ist ein Kunststück und Beethoven lacht sich dabei ins Fäustchen. Sanderling versuchte es mit ganzheitlicher Korrektheit und auch im 2. Satz gut dosierter Theatralik. Der etwas ausgestellte Esprit rächte sich aber sofort und erzeugte einen in diesem Konzert nicht zu lösenden Widerspruch: wunderbarer Schönklang für die für die CD aufgestellten Mikrofone standen einem entfesselten Live-Erlebnis entgegen, wozu auch die Frage nach den Tempi gehört, die Sanderling für die Ecksätze mit einer unextremen, mittleren Haltung beantwortet. Wenn es schon in der „Moldau“ etwas unterkühlt zuging, tat hier die akustische Distanz des Raumes zwischen Bühne und Rang, die genau das Körperlich-Unmittelbare abtrennt, ihr Übriges. Demnächst mehr Stromschnellen bitte!

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