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Auf der Atemüberholspur

Tuba-Quartett und Brucknersinfonie im Konzert der Philharmonie

Im Sinfonieorchester ist sie seit Mitte des 19. Jahrhunderts nicht wegzudenken, im sinfonischen Blasorchester ohnehin nicht, und dann und wann schleicht sich ein Spieler dieses Instrumentes auch einmal nach vorne, um eines der seltenen Solokonzerte vorzutragen: die Tuba macht Eindruck und sorgt für das bassige Fundament im Konzert. Spätestens seit Strauss und Mussorgski wissen wir, dass die Tuba weitaus mehr kann als nur den warmen Untergrund zu betten. Und überhaupt, wenn wir schon bei Virtuosität angelangt sind: da sind vier Tuben doch besser als eine – dachten sich vor 30 Jahren vier Tubakollegen deutscher Orchester und gründeten das „Melton Tuba Quartett“, nachdem bereits in den 50er Jahren der heute noch als Karikaturist bekannte Tubist Gerard Hoffnung die Briten mit Chopin-Bearbeitungen für Tubaquartett zum Schmunzeln brachte. Doch bei den Meltons – Jörg Wachsmuth, Tubist der Dresdner Philharmonie, zählt zu den Mitgliedern – regiert höchster Anspruch, und so staunte man zum Philharmoniekonzert am vergangenen Sonnabend im Kulturpalast, welche Wendigkeit und Geschwindigkeit auf den großen Blechinstrumenten bei entsprechender Versiertheit heutzutage möglich ist.

Der vor allem im Ruhrgebiet wirkende Komponist Stefan Heucke (geb. 1959) schrieb dem Quartett ein „Concerto Grosso Nr. 1“ auf den Leib, das auf klassischen Formpfaden wandelt und den Solisten Streichorchester, Schlagzeug und Harfe hinzugesellt. Schon der Auftritt der Solisten geriet zu einem kleinen Spektakel, weil jede Menge „schweres Gerät“ aufgefahren wird und die Meltons in jedem Satz eine andere Tuba-Quartettkombination vom Euphonium bis zur Kontrabass-Tuba spielen. Heucke verzichtete in seinem neuen Werk auf einen Bläserapparat im Orchester, merkwürdigerweise war das vermutlich aber ein Hauptmanko eines undeutlich-verwischten Gesamtklanges, den weder Dirigent Markus Poschner mit deutlicher Führung des Orchesters, noch die Solisten abändern konnten. Da Heucke dem Quartett kaum Raum zur solistischen Gestaltung gibt, sondern immer Figurenwerk in den Streichern oder im Schlagwerk mitläuft, hat man einiges beim Hören zu tun, die akustische Mischung der Register wieder zu entwirren.

Was dann überblieb, überzeugte wenig, da Heucke sich munter im Gebrauchtwarenladen aller möglichen Stilistiken bedient und zwar die Satzfolgen mit Choral, Scherzo und Passacaglia in einem für jedermann verdaulichen Rahmen hält, aber eben die einzige Originalität des Werkes darin bestand, dass dies auf der Bühne ein Tubaquartett spielt. Eine zwingende persönliche, bewegende Note war dem Stück nicht entnehmbar – gerade mit dem Parameter der Klangfarbe hätte Heucke hier viel mehr erreichen können. Auch die Zugabe der Meltons trug das Etikett des Spektakulären, was auf der Tuba alles möglich ist: Rossinis „Tell“-Ouvertüre kam rasant daher, das genaue Hinhören zeigte jedoch, dass ein weniger erneut die Atemüberholspur forderndes Stück nach dieser Uraufführung passender gewesen wäre.

Nach der Pause kehrte man zurück zu – vermeintlich – Bekannterem, doch die Tatsache, dass Anton Bruckner seine Sinfonien zum Teil mehrfach bearbeitete, führt dazu, dass das innerliche Mitsummen mitunter auf eine temporäre Umleitungsstrecke gerät. Mag das bei späteren Sinfonien nur wenige Takte und Ausformungen betreffen, so ist die selten zu hörende Erstfassung der 3. Sinfonie d-Moll aus dem Jahr 1873 eine echte Wundertüte und hat wenig mit den späteren, heute üblicheren Fassungen gemein. Das ist ein höchst experimenteller, auch noch suchender und tüftelnder Bruckner, der da zu hören war und den Markus Poschner geradezu genial beim Schopf gepackt hatte. Jede Generalpause geriet zu einem spannungsvollen Punkt der Neuorientierung im Labyrinth der Motive; Dissonanzen und rhythmische Überlagerungen arbeitete Poschner mit unaufgeregter Haltung klar heraus und ließ die Philharmoniker dabei im freien Spiel glänzen, denn der vom Dirigentenpult ausstrahlende sichere Puls öffnete hier wunderbare Räume der Gestaltung, für den beispielhaft die ungewöhnliche Triller-Grundierung der Celli im 2. Satz steht. Insbesondere der erste und der dritte Satz gelangen Poschner wie aus einem Guß modelliert, und nach dem Finale machte sich ein Moment des Staunens im Publikum breit: Wow, Bruckner!

Foto (c) Björn Kadenbach

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