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Großartiger Schostakowitsch – irritierender Beethoven

Neue CD der Dresdner Philharmonie vereint die sinfonischen Erstlinge der Komponisten

Dritte Runde in der Schostakowitsch-Beethoven-Saga der Dresdner Philharmonie: Am heutigen Freitag erscheinen die sinfonischen Erstlinge der beiden Komponisten bei Sony Classical. Dass die Biografie von Orchester und Dirigent ebenso fehlen wie die aktuelle Besetzung und ein Cover, das man ansatzweise als gestalterisch interessant loben könnte, ist weiterhin ein ärgerliches Manko dieser Edition, die immerhin bei einem der Major Labels erscheint. Es ist die letzte CD der Reihe, die noch in der Lukaskirche aufgenommen wurde, bei den künftigen Aufnahmen wird man erstmalig den Klang des neuen Saals im Kulturpalast mit nach Hause nehmen dürfen. Live-Mitschnitte wie die der beeindruckenden Aufführung der 12. Sinfonie im Frühsommer werden in die Gesamtaufnahme der Sinfonien beider Komponisten, deren Abschluss für 2019/2020 geplant ist, mit einbezogen werden. Mit der 1. Sinfonie f-Moll, Opus 10 von Dmitri Schostakowitsch hält man wieder einmal einen fulminanten Beweis in der Hand, wie vertraut und lieb diese Musik den Dresdner Philharmonikern geworden ist. Michael Sanderlings Arbeit mit den beileibe nicht leicht zu spielenden Partituren trägt mehr und mehr Früchte, weil sich die bewusste, gemeinsame Haltung unmittelbar auf die Spielkultur auswirkt und so direkt den Hörer erreicht.

Ein weiteres Kontinuum der Aufnahme schält sich bereits heraus: egal, wie man die Stücke zu einer sinnvollen Kombination zu paaren versucht, die Ambivalenz bleibt. Zwei Jahrhunderte, zwei sehr verschiedene Länder und Umgebungen und letztlich auch zwei Persönlichkeiten führen dazu, dass viele Kontraste und Widersprüche entstehen und sich die Farben und kompositorische Lösungen mehr auftürmen denn erklären. Das ist aber durchaus keine Kritik – am besten fährt der Zuhörer damit, den Anspruch des Angebotes der Dresdner Philharmonie ernst zu nehmen. Seltsam erscheint, dass die 1. Sinfonie C-Dur, Opus 21 von Ludwig van Beethoven, die eigentlich nicht als jugendlich (Booklet), sondern bestenfalls als sinfonisch-jungfräulich bezeichnet werden kann, einigermaßen undeutlich in der Interpretation daherkommt, möchte man doch Sanderling deutliche Absichten unterstellen. Warum spricht er von einem „rasend schnellen“ Menuett im Begleittext, wenn er dieses weitaus gemächlicher als die meisten seiner Kollegen nimmt – wofür es gute Gründe gäbe, die er aber gar nicht anführt.

Im ersten Satz überwiegt das Galante, die langsame Einleitung wird gottlob nicht als Infragestellung der Weltkugel missinterpretiert. Dann aber fehlt dem Allegro prompt das „con brio“ – die mit zu wenig Spannung exerzierte Akkuratesse hemmt die Spielfreude, die man im 2. Satz dann um so freier schwingend bewundert – die grundsätzlich sehr begrüßenswerte Beethoven-Spielart Sanderlings mit wenig Vibrato und einem schlanken, aber tonlich bewussten Klang setzt sich auch auf dieser CD fort.  Schließlich gibt es im 4. Satz Irritationen: ein sattes forte einer piano-Fagottlinie, dann die bis zum Ende immer mehr sich einschleichende Verwischung der eigentlich deutlich notierten Phrasierung, und in den Schlussakkorden irritiert auf halber Strecke eine Piano-Abphrasierung. In der Summe weiß man nun gar nicht, wo Sanderling mit dieser kein Ganzes ergebenden Detailarbeit hinwill – gerade für diese „Erste“ hätte man sich aber doch gerade eine initialisierende Aussage gewünscht, gleich ob man sie in Richtung Haydn deutet oder mehr zur Ahnung des Kommenden.

Völlig anders gerät das Hörerlebnis beim Geniestreich der 1. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch, mit der der Komponist ebenso frech wie frappierend das Konservatorium abschloss. So sensibel, wie auf der neuen Aufnahme im Allegro ein Piano auf der Großen Trommel zelebriert wird, so homogen und klangschön gerät die ganze Sinfonie, dass man gar nicht weghören mag. Konsequent wird hier die ganze Farbpalette des jungen Schostakowitsch aufgeblättert, und diesem Werk tut es sehr gut, wenn scheinbar einfache Akkordfortschreitungen der Streicher klanglich vergoldet werden – der spezielle Sound der Musik von Schostakowitsch stellt sich sofort ein und wird bis zum eindrucksvoll zelebrierten Schluss der Sinfonie mit großer Spielintensität immer wieder befeuert – großartig!

  • CD Ludwig van Beethoven: 1. Sinfonie C-Dur, Opus 21 / Dmitri Schostakowitsch: 1. Sinfonie f-Moll, Opus 10 – Dresdner Philharmonie, Michael Sanderling (Sony Classical) – erhältlich in #Dresden z. B. bei Opus 61
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Veröffentlicht in Rezensionen

Ein Kommentar

  1. Schön zu lesen und 1. Beethoven und 1. Schostakowitsch ist eine gelungene Kombination, hätte ich gerne gehört

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