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Exquisites Silvester-Apéro von der Orgel

Olivier Latry mit einem Orgelkonzert zum Jahreswechsel bei der Dresdner Philharmonie

Dass die Dresdner Philharmonie als ersten Palastorganisten für die neue Orgel im Kulturpalast den Franzosen Olivier Latry (Titularorganist an Notre Dame in Paris) verpflichten konnte, erweist sich schon jetzt als absoluter Glücksgriff. Denn in der Riege weltweit an der Spitze ihrer Zunft agierender Organisten ist Latry ein höchst kreativer und auch in seiner Programmvielfalt immer wieder überraschender Künstler. Vor allem eine Organistentugend hat er schon lange zur Meisterschaft gebracht: sich in einem Konzert derart mit Raum und Orgel zu verbinden, dass Instrument und Interpret eine glückliche, inspirative Partnerschaft eingehen.

Davon konnten sich die Zuhörer im erstmalig durchgeführten Silvester-Orgelkonzert der Philharmonie im Kulturpalast überzeugen und ließen sich bereitwillig von Olivier Latrys Kunst mitreißen. Dabei setzte der Franzose nicht auf vordergründiges Spektakel, sondern auf ein breites Spektrum von Klängen, die er in seinem gut einstündigen Programm vorstellte. Wer also bislang noch nie die Kulturpalastorgel gehört hatte, bekam nahezu von allen Möglichkeiten dieses Instruments einen exquisiten Geschmack – ein Apéro gleichsam, was zum Tag und Anlass passte. Und natürlich hätte Latry gleich im ersten Stück, dem bekannten „Säbeltanz“ von Aram Chatschaturjan, alle Zirkusmöglichkeiten auffahren können. Seine Stärke entfaltet der Organist aber genau darin, dass er die Stücke nicht zur Nummer verkommen läßt, sondern deren Qualitäten in der Registrierung fein betont und Form und Harmonik wie selbstverständlich in sein „denkendes“ Spiel mit einbezieht.

Das setzte sich auch bei Manuel de Fallas „Feuertanz“ fort, bei dem ich kaum mehr das Orchester vermisste, so silbrig feinfühlig übertrug Latry in eigener Bearbeitung die Stimmen auf die Manuale und lotete Steigerungen und Melodiestimmen sauber aus. Barock ging es weiter mit der Entdeckung der Orgeltranskriptionen einiger Weihnachtslieder von Jean-Francois Dandrieu. Das erste trug Latry wie einen Chor aus vielen Stimmen vor, das zweite erstrahlte in hellen Mixturen und rief noch einmal alle Lichtgedanken zum Christfest hervor. Selbstverständlich kann die Kulturpalastorgel auch Bach: den wunderbaren Choral „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ nahm Latry mit hervorragender Stimmtransparenz, die Sinfonia aus der Kantate BWV 29 hingegen stellte er in klassischer Prinzipalregistrierung vor, ganz einem festlichen Gottesdiensteingang. Spätestens ab hier wurde es hoch virtuos und auch augenzwinkernd aberwitzig: Dem quer durch die Pfeifen wabernden „Hummelflug“ folgten die bekannten Paganini-Variationen – nun aber eben nicht von Rachmaninow, sondern von dem Australier George Thalben-Ball komplett in die Pedale gelegt! Latry vermied trotz sich überschlagender Glissandi Knöchelverknotungen und entspannte sich mit einer träumerischen „Berceuse“ von Louis Vierne, bevor nach einer großen Improvisation über Charpentiers „Te Deum“ die letzten Klänge – zumindest vor der Zugabe – des Jahres 2017 der Toccata aus der 5. Orgelsinfonie von Charles-Marie Widor gehörten, die ich selten klarer und klangmächtiger gehört habe. Mit der Kulturpalastorgel hat der Palastorganist Olivier Latry längst Freundschaft geschlossen.

Foto (c) Alexander Keuk

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