Halbzeit beim Ring-Zyklus an der Dresdner Semperoper
In Dresden findet erstmals seit acht Jahren wieder eine komplette Aufführung des Opern-Zyklus „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner statt. Christian Thielemann am Pult der Sächsischen Staatskapelle galten die größten Ovationen nach den ersten beiden Abenden, dem „Rheingold“ und der „Walküre“. Ein absolut herausragendes Sängerensemble machte die Aufführungen zu einem Fest.
Wagnerianer und solche, die es werden wollen, haben in diesem Jahr spannende logistische Aufgaben zu lösen. Obwohl das Wagner-Jahr 2013 schon lange zurückliegt, haben sich für 2018 viele Opernhäuser Richard Wagners an vier Abenden aufzuführendem Bühnenfestspiel „Ring des Nibelungen“, verschrieben. Und man muss gar nicht erst zu den anstehenden oder schon in Aufführung begriffenen Zyklen nach Hamburg, Kiel oder München fahren, denn in Sachsen stemmen die Häuser in Dresden, Chemnitz und Leipzig ihren eigenen Ring. Die Semperoper Dresden macht nun den Anfang mit einer zyklischen Gesamtaufführung – nicht in einer Neuinszenierung, sondern in der bislang in der Nachkriegszeit einzigen Darstellung durch Willy Decker, die 2001-2003 Premiere hatte und seitdem eine wechselvolle Aufführungsgeschichte durchlebte.
Ursprünglich noch für Giuseppe Sinopoli geplant, übernahm Semyon Bychkov nur die Premieren von Rheingold und Walküre, dann setzte die Flut 2002 eine Zäsur. Bychkov entfernte sich, Michael Boder dirigierte die Premieren von Siegfried und der Götterdämmerung 2003. Eine wirklich runde Sache wurde der Decker-Zyklus nie, auch wenn Fabio Luisi 2006 gleich drei Serien dirigierte. Bei der letzten Serie 2010 stand das Orchester dann ohne festen Ring-Dirigent da und man ging Kompromisse ein. Es keimte Hoffnung, als Dresden den Wagner-Dirigenten schlechthin an sich binden konnte: Schon zu Beginn von Christian Thielemanns erster Amtszeit war klar, dass er dem „Ring des Nibelungen“ zu neuem Leben verhelfen würde. Dass Thielemann hier nichts überstürzte, sondern die Partnerschaft mit dem Orchester wie auch mit dem Decker’schen Ring in Ruhe anging, ist das Erfolgsrezept dieses ersten vollständigen Thielemann-Ring-Zyklus an der Dresdner Semperoper. Seit zwei Jahren hat er die Teile einzeln zur jeweils umjubelten Wiederaufführung gebracht, selbstverständlich mit überragendem, ihm aus Bayreuth bestens bekanntem Sängerpersonal. Aber der Decker-Ring bleibt auch, das ist unbedingt erwähnenswert, ein Dresdner Ring, bei welchem insbesondere die Mezzosopranistin Christa Mayer das (Rhein-) Gold Wagners seit der Premiere 2001 hochhält.
Nach dem vergangenen Wochenende ist bereits Halbzeit im Zyklus und ein erstes Durchschnaufen angesagt, nachdem Rheingold und Walküre wirklich in Tagesfrist hintereinander aufgeführt wurden. Und die Semperoper Dresden löste ihre Versprechen und Ankündigungen ein: es war ein international beachteter, hervorragend besetzter und kongenial spannend interpretierter Ring-Auftakt, eine Qualitätsoffensive letztlich, die selbstverständlich auch von den Anforderungen her aus dem Alltag der Semperoper weit herausragt, herausragen muss. Und obwohl gerade das Szenische dieses Rings in der minimalistischen Ästhetik Deckers auf den ersten Blick die wenigsten Kräfte abverlangt, waltete hier Sorgfalt. Dem internationalen Publikum in der komplett ausverkauften Semperoper wurde keine Wiederaufwärmung geboten, im Gegenteil: Deckers Ideen zeigen in der intensiven Beschäftigung ihre Größe, und erst wenn alle Darsteller sich ihrer Position in diesem Weltgefüge klar sind, geht ja das Weben und Verweben erst los.
In Wolfgang Gussmanns Bühnenbild mit wellig angeordnetem Theatergestühl und wenigen, symbolisch markanten Requisiten konnte man großartiges Spiel der Sänger vor allem im Rheingold beobachten. Dabei gehörte natürlich der erste Weltenimpuls dem aus der Tiefe sanft aufsteigendem Es-Dur der Staatskapelle Dresden. Von hier aus entwickelt sich das Tonarten- und Motivgefüge auf wunderbare, wunderliche und dennoch höchst kundige Weise unter den Händen von Christian Thielemann, dass man nach zweieinhalb Stunden verwundert auf die Uhr schaut: oh, vorbei. Das Rheingold hat in Deckers klarer und freier Sicht auf das Werk nichts an Aktualität verloren, Wagner ganz nah bei uns verortend: Sondierungsgespräche finden da statt zwischen Wotan, Alberich und den Riesen. Der eine gibt sich auf, der andere gibt klein bei, die beiden Bauherren Walhalls bleiben hart. Und schon am Ende dieser Oper ist die Götterfamilie im Durcheinander versunken, Regieren eigentlich unmöglich. Geht es noch gegenwärtiger?
Nur fantastisch zu nennen war die Sängerleistung im Festspielvorspiel: ein kraftvoller Wüterich-Alberich namens Albert Dohmen mit listigem Mime an der Seite (Gerhard Siegel), dazu mit Albert Streit ein Strippenzieher-Loge von Format – das allein ist schon eine Traumbesetzung, zu denen das Riesenpaar Georg Zeppenfeld und Karl-Heinz Lehner stimmstark auftrumpfend ebenso passte wie die Damen-Götterriege Christa Mayer (Fricka), Regine Hangler (Freier) und die Wala Erda (Janina Baechle). Derek Welton und Tansel Akzeybek waren ebenso präsent in ihren kleinen Rollen von Donner und Froh. Hier noch nicht ganz überragend, aber bereits einen bassig-warmen Schimmer von Kommendem gebend war Vitalij Kowaljows Wotan. Wenn das Rheingold schon eine stimmige Gesamtleistung einer ganzen Schar von Sängern samt krimiartig auf der Stuhlkante musizierender Staatskapelle war, so geriet die darauf folgende Walküre zu einem Sängerfest, und das nicht nur, weil man allein die acht Walküren selten stimmschöner singend und eben nicht brüllend im 3. Akt erlebte, daher seien die erfahrenen Sängerinnen Christiane Kohl, Johanna Winkel, Brit-Tone Müllertz, Irmgard Vilsmaier, Julia Rutigliano, Simone Schröder, Sabrina Kögel und Katharina Magiera auch hier gebührend erwähnt.
Dieser Anspruch des unbedingten, musikalischen Ausdrucks und des immer wieder sich aus dem zurückgenommenen Entwickelnden ist natürlich auch Visitenkarte desjenigen, der am Ende die lautesten Bravi entgegennehmen durfte: Christian Thielemann, der mit diesem Zyklus etwa seinen vierzigsten Ring überhaupt dirigierte, wird eben seiner Qualität nicht müde. Die Erfahrung läßt ihn in jeder Aufführung neue spannende Details entdecken und die Abenteuerkraft der Partituren nimmt keineswegs ab – das zeigte vor allem grandios im Bogen angelegte 2. Akt der Walküre, ein Aussagekern des gesamten Rings, der allein in seiner schieren Dauer und Handlungsarmut auch einem Dirigenten Äußerstes abverlangt. Das wird Thielemann allerdings leicht gemacht, wenn er hier ein so herausragendes Zwillingspaar Siegmund (ein unverwüstlicher, grandioser Peter Seiffert) und Sieglinde (Elena Pankratowa mit Charakter und deutlicher Diktion) vor sich hat, noch dazu eine Brünnhilde von Rang und Eindringlichkeit (Petra Lang, hier hörbar haushaltend, sie singt auch die beiden Brünnhilden der kommenden Abende) und den hier nun völlig frei und bis in die hinterste Ecke seiner Partie souverän gestaltenden Vitalij Kowaljow als Wotan, dem man auch leiseste Regungen und Gedanken sofort abnimmt. Christa Mayer (Fricka) ist nun die bestimmend-treibende Kraft der Schieflage des Göttergeschlechtes, in die ja schon die Schlusstakte beim Rheingold wiesen: wohin geht die Reise? Die Dresdner werden es am Donnerstag und Sonnabend bei „Siegfried“ und der „Götterdämmerung“ erfahren – möglicherweise gibt es noch Karten.
Foto (c) Klaus Gigga
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