Gustav Mahler Jugendorchester gastierte im Kulturpalast Dresden
Moment, werden Sie beim Lesen dieser Zeilen sagen – das Gustav Mahler Jugendorchester konzertierte doch erst vor zwei Wochen in Dresden?! Hat sich das von Claudio Abbado 1986 gegründete und bis heute höchst renommierte Ensemble Dresden als Residenzstadt auserkoren? Warum nicht, uns – und die Organisatoren der „Kulturhauptstadt 2025“, die nun mit der Dresdner Philharmonie als Gastgeber das Orchester zu ihrem zweiten Auftritt in den Kulturpalast holten – täte es freuen, wenn dieses wahrlich grenzenlos europäische Ensemble seine Botschaft des musikalisch-künstlerischen Miteinanders auf hohem und einem sich gegenseitig respektierenden und bereichernden Niveau auch künftig in der sächsischen Landeshauptstadt durchführen würde. Damit würde ein Zeichen für Zukunft, für Jugend und für Offenheit gesetzt, die weit über das bloße Darbieten von klassischer Musik hinaus Haltung bewiese.
Dass das Orchester sich in diesem Jahr für seine Ostertournee im (Hotel-)Probenlager in Bad Schandau vorbereitete, ist überdies ein Beweis von Gastfreundschaft und Selbstbewusstsein als musikalischer Kernregion in Europa – dieser (mindestens) von Heinrich Schütz ausgehenden Bedeutung des Landes darf man sich gerne mehr rühmen. Und der Zeitstrahl spielte auch eine große Rolle im sogenannten „Programm A“, das das Orchester im Kulturpalast am Sonntagvormittag vorstellte – wenngleich man sich auf der „Zurück-in-die-Zukunft“-Rakete mit den gut 110 Musikern tatsächlich im musikgeschichtlichen Rückwärtsgang befand. Wenn auch vermutlich nicht absichtlich hergestellt, so war ein Zukunftszeichen auch in der starken Vertretung weiblicher Musiker im Orchester zu bemerken, schön, dass das GMJO auch hier nicht nur Vorbildcharakter für manch immer noch eingefahrene Personalstrukturen in den Orchestern zeigt, sondern man sich auch um den Nachwuchs kaum sorgen braucht. Allerdings hofft man für die Musiker aus 20 Nationen inständig, dass die „tolle Tour mit dem GMJO“ Jahrzehnte später nicht die einzige herausragende Erinnerung an diese „Musikerzeit“ darstellt. Bei allem Stolz, den das Programmheft mit der Auflistung der Karrieren bisheriger Orchestermitglieder auftürmt, ist hier für Realitätssinn kein Platz. Statt dessen bewundert man die Ansammlung von High Heels auf der Bühne und fragt sich, was das mit Witold Lutoslawskis Musik zu tun hat.
Ein technisches Problem während der Aufführung des ersten Stücks war wohl einem den Hörgenuss eigentlich unterstützen sollenden Gerät im Auditorium geschuldet. Zwischen den ersten beiden Sätzen der übrigens sehr selten aufgeführten 1. Sinfonie (1947) von Witold Lutoslawski pfiff es vom Rang derart, dass an Konzentration kaum zu denken war. Trotzdem bewiesen die Musiker Professionalität und ließen das Frühwerk des polnischen Komponisten wie ein großes Graffiti entstehen: auf den Punkt gebrachte Attacken, grelle Farben, Zacken und Zeichen bestimmten das Klangbild, nur der 2. Satz kam in der schon typischen Orchestrierung des Polen ruhiger daher, trotzdem war hier auch eine unterschwellige Energie spürbar. Für deren Aufdeckung sorgte der junge Schweizer Dirigent Lorenzo Viotti, der das Orchester bereits seit 2016 als Assistent betreut und derzeit europaweit von bedeutenden Orchestern und Opernhäusern engagiert wird. Er überraschte mit sehr guter, klarer Zeichengebung für die Musiker, reagierte allerdings generell, auch in den folgenden Stücken, wenig auf das, was ihm vom Orchester geboten wurde. Dass das Stück sich nur schwer zum Ohr bahnte, liegt vermutlich mehr an der Komposition, deren manchmal recht ordentlich gebaute Struktur noch die Freiheit im Spiel und Spielerischen vermissen ließ, die Lutoslawski später unverwechselbar für sich entdeckte und entwickelte.
Rückwärts weiter im Text: Lutoslawskis Musikdenken ist ohne Karol Szymanowski, einem Wegbereiter der polnischen Moderne, sicherlich nicht vollständig – und dieser wiederum war ein großer Verehrer von Claude Debussy. So wurden nun in Szymanowskis 1. Violinkonzert, Opus 35 die Farben weicher, das Klangbild kristalliner. Leider hatte Viotti, wie es auch in früheren Jahrgängen des Orchesters zu beobachten war, ebenfalls Probleme mit der beim einmaligen Gastspiel schnell zu erfassenden individuellen Saalakustik und auch der sehr schnell immer zu Extremlagen gebrachten Lautstärke des Ensembles, wobei eigentlich auch Viotti auffallen müsste, dass nicht jeder Höhepunkt ein „con tutta forza“ jedes Spielers erfordert, weil sonst sofort eine akustische Schieflage entsteht – erst recht in diesem Saal, der eben an der Unterkante eines fortissimo seine eigentliche Strahlkraft entwickelt. Gerade noch hielt der Dirigent seine durchaus enthusiastischen Musiker zurück, um die Solistin Lisa Batiashvili in ihrem zum Teil in höchsten Lagen singenden Part nicht zuzudecken. Von der lichten Parfümierung dieser Partitur verriet aber diese Interpretation wenig, stattdessen waren die Temperamentwechsel hier meist kantig und mit nur wenig Ruhe vollzogen. Von Batiashvili aber strömte genau dieser duftige Klang aus, den es im Orchester hier noch mehr gebraucht hätte – für dieses Strömen und Fließen wurde sie vom Publikum gefeiert und gab noch ein Stück aus ihrer georgischen Heimat als Zugabe: „Doluri“ von Aleksi Machavariani passte wunderbar in die bisherige Ausdruckswelt des Konzerts.
Nach der Pause ging es mit den Orchesterbildern „Images“ von Claude Debussy weiter – eine Hommage zum 100. Todestag des französischen Komponisten. Es ist ein Werk, das in seiner Gänze selten auf den Konzertpodien zu erleben ist und doch in seinem ausgefeilten Kolorit und den beschriebenen Naturereignissen, dem spanischen Exotismus, Tänzen und mystischer Überhöhung des Atmosphärischen vielleicht die Charakteristika von Debussys Musik in einem einzigen Werk am besten einfängt. Das an diesem Vormittag ohnehin bestens aufgelegte Orchester glänzte hier nun mit einer Interpretation, die viel mehr Sinnlichkeit und Konzentration für die Klangmischung aufwies als noch im ersten Teil. Viotti blieb bei seiner geradlinig-klaren Zeichengebung und adelte Debussy mit feinsinniger Zeichnung der Klänge: dieses Austarieren zwischen lässigem Überfahren der Mystik und einem Vollbad im Pathos will für die großformatigen „Images“ erst einmal gefunden werden. Dennoch behielt er sich den Ausflug in ein launigeres Musizieren (was sich dann gottlob auch sofort auf das Orchester übertrug) für die Zugabe vor: logisch, dass Emmanuel Chabriers „España“-Rhapsodie dann auch die Zuhörer von den Stühlen riss.
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