Sinfoniekonzert des Universitätsorchesters Dresden im Kulturpalast
Manchmal muss man sich schon die Augen reiben, wenn man die Ankündigungen der Sinfoniekonzerte jenseits von Philharmonie und Staatskapelle liest: während die großen Orchester sich ehrbar um’s Repertoire verdient machen, findet man sich in letzter Zeit zu immer mehr Mutproben und Entdeckungen bei den freien Ensembles ein. Das verdient nicht nur Respekt, sondern auch freudvolle Begleitung. Die sinfonischen Ensembles der Technischen Universität Dresden zogen nun erstmalig samt seinem treuem Publikum von der Lukaskirche in den neuen Saal im Kulturpalast um. Akustisch nun in neuartiger Verwöhnung begriffen, griff Orchesterchef Filip Paluchowski zu den Sternen und holte die 3. Sinfonie des 1919 in Warschau geborenen, später in Moskau im Exil wirkenden Mieczysław Weinberg aus der Versenkung. Jahrzehntelang wurde das Werk des 1996 verstorbenen Komponisten auf den Konzertpodien vernachlässigt. Ausgerechnet Dresden scheint aber nun etwa durch das stark in den Osten weisende Engagement der Schostakowitsch-Tage wesentlich zu einer dringend notwendigen Weinberg-Renaissance beizutragen. Die Qualität seiner Musik sprach sich schnell herum, zu entdecken ist in dem großen Werkkatalog indes noch einiges.
Dass die 3. Sinfonie im TU-Sinfoniekonzert – Motto: „Aufbruch“ – am Sonntagvormittag als Deutsche Erstaufführung erklang, verwundert und erfreut daher zugleich. Frei schwingende Töne sind in dem 1949 entstandenen viersätzigen Werk dennoch eine Ausnahme. Man könnte sie mit dem Bewusstsein suchen, dass ein Jahr zuvor die kommunistische Partei der Sowjets „qualitativ und ideologisch hochwertige Tonschöpfungen“ von den Komponisten forderte – ein Dekret, das etwa bei Dmitri Schostakowitsch nach der 9. Sinfonie beinahe ein sinfonisches Verstummen bis zu Stalins Tod 1953 zur Folge hatte. Die eigene Sprache finden und behaupten zu dürfen, ist auch in Weinbergs 3. Sinfonie das übergreifende Thema und die „Lösung“ bringt ein außergewöhnliches, dennoch traditionell orientiertes Werk hervor. Paluchowski und das in großer Besetzung (Kammerphilharmonie und Sinfonieorchester vereinend) spielende Ensemble sorgte sich deutlich um die Herausarbeitung der klanglichen Schönheiten der Sinfonie, die – das war deutlich zu hören – sehr intensiv vorbereitet worden war. In allen Orchestergruppen war vor allem der Charakter der Themen genauestens getroffen, so etwa gleich die tröstlich-melancholische Grundstimmung zu Beginn. Einen virtuosen Trompetensatz meisterte das Orchester ebenso wunderbar wie einen späteren Orgelpunkt von Pauken, Bässen und Celesta, über dem hohe Geigen einen silbrigen Gesang entfalten – mit in der Luft zu stehen scheinenden Moll-Akkorden endet danach der 1. Satz äußerst fahl.
Ein tolles Oboensolo leitete den folkloristisch anmutenden 2. Satz ein, der aber in Weinbergs überarbeiteter Fassung auch noch einige Überraschungen birgt. Das Adagio an dritter Stelle schwingt sich zu einem intensiven Streichersatz auf, später den Tonraum nach oben ausweitend: hohe Celli und Trompeten formen hier den Höhepunkt. Im Finale dann war noch einmal schön zu beobachten, dass im etwas gemessenen Tempo sogar im rhythmisch nun sehr vielschichtigen Marsch-Tutti immer Durchhörbarkeit und Ausspielen gewährleistet war – eine tolle Leistung der jungen Musiker, gleich ob in der Gruppe oder alleine agierend. Hier wurde Exemplarisches geleistet und auch Weinbergs besondere Klanglichkeit mit viel Feingefühl erkundet.
Nach der Pause die Weltenwende? Oh ja, mit dem „Concerto for Group and Orchestra“ hielt der sinfonische Rock Einzug in den Kulturpalast, und neben vielen längst wieder eingemotteten Versuchen dieser Art, stellt Jon Lords 1969 entstandene und als seine letzte Studioaufnahme 2012 veröffentlichte Komposition vielleicht den ernsthaftesten, auch beeindruckendsten Grenzübertritt schon allein deshalb dar, weil er nicht eine Welt der anderen überstülpt, sondern beide in musikalischer Freiheit existieren läßt. Ausgerechnet im barocken „concertare“ findet man dieses völlig legitime Nebeneinander-Musizieren wieder, das Jon Lord allerdings im Laufe des Stücks selbst aufgibt, denn die Ebenen sind natürlich auch im Dialogisieren fruchtbar. Das TU-Sinfonieorchester durfte sich nun keineswegs ausruhen, sondern rockte das Haus nun ebenso wie das dafür prädestinierte Concertino: Patrick Lesse (Bass), Leonhard Steinhoff (E-Gitarre), chorusFELD (Gesang), Adrian Zendeh (Hammond-Orgel) und Simon Hertzsch (Schlagzeug) – fast alle noch im Musikstudium tätig – setzten sich konzentriert, beinahe zu respektvoll für das Werk des Deep-Purple-Organisten ein, lediglich bei Zendehs Solo war starke Individualität spürbar. Ansonsten, und auch das war im Sinne des Gedankens der Ehrerbietung an den großen Musiker höchst respektabel, gingen die fünf im Miteinander mit dem Orchester auf. Auch akustisch war diese „von-null-auf-Hundert“-Premiere mit ganz wenigen Abstrichen im Vollklang absolut gelungen: Jubelrufe für einen Vormittag voll mutig-freudigem Spiel mit Symbiosen und Innovationen. Davon (viel) mehr bitte.
Foto (c) Maximilian Helm
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