Vor vier Jahren starb der Dirigent Gerd Albrecht, der einem großen Publikum durch unkonventionelle Programme, sinfonische Entdeckungen jenseits von Brahms und Beethoven und vor allem für einen unermüdlichen Einsatz für die zeitgenössische Musik bekannt ist. Albrecht leitete in Chefpositionen u. a. das Philharmonische Staatsorchester in Hamburg, die Tschechische Philharmonie und das DR SymfoniOrkestret in Kopenhagen, zudem einige Jahre auch das Bundesjugendorchesters. Von seinen unzähligen Projekten und geleiteten Uraufführungen liegen etliche Aufnahmen und Rundfunkmitschnitte erhalten.
Schon in den Jahren an der Staatsoper Hamburg und später dann auch in Berlin waren Musikvermittlung, Familienkonzerte oder moderierte Konzerte wichtiger Bestandteil seines Schaffens mit den Orchestern – „“Wenn es uns nicht gelingt, die Jugend in die Konzertsäle zu bekommen, wird es das Musikleben, wie wir es kennen, innerhalb kürzester Zeit in Deutschland nicht mehr geben“, äußerte Albrecht einmal. Er erhielt für diese Programme zahlreiche Preise, darunter den Grimme-Preis und initiierte auch die „Klingenden Museen“ in Hamburg und Berlin.
Besonders spannend sind seine moderierten Konzerte mit Werken zeitgenössischer Musik, die er unter dem Titel „Open your ears – Wege zur neuen Musik“ mit dem Deutschen Symphonieorchester Berlin und dem Rundfunksinfonieorchester Berlin gab und die vom SFB aufgezeichnet wurden. Sechs dieser Konzerte aus den Jahren 1986-2011 sind im März dieses Jahres in einer DVD-Box bei Arthaus Musik erschienen. In der Box enthalten ist außerdem ein 200-seitiges Buch mit Essays zum Thema und zu den Kompositionen, verfasst von namhaften Musikjournalisten und Autoren wie Julia Spinola, Christine Lemke-Matwey oder Jens Malte Fischer. Die DVD-Edition wurde just mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet und steht auf der Bestenliste 3/2018.
Die DVDs sind sehr sehenswerte und sicher einmalige Zeitdokumente der Entstehung und (Ur-) Aufführung von Kompositionen von Jörg Widmann, Isang Yun, Mauricio Kagel, György Ligeti, Hans Werner Henze und Krzysztof Penderecki. WDR Tonart kommentierte die Edition: „… den Komponisten auf dem Bildschirm schließlich leibhaftig zu begegnen, verringert die Distanz und hat einen ganz eigenen Reiz.“ Dass die Zusammenstellung darüberhinaus eben gerade die sechs höchst unterschiedlichen Werke wie Kagels Quodlibet und Henzes Barcarola nebeneinander bestehen läßt und in ihrer eigenen Qualität vorstellt, sorgt für einen differenzierten Blick gerade auf die Szene der 80er Jahre. Mit Noten und Biografien angereichert stellt die Box auch heute noch ein spannendes Material der Musikvermittlung in Schulen und Hochschulen dar, denn Albrechts immer leicht fordernde Selbstverständlichkeit der Rezeption zwingt zum Hinhören, und die Stücke selbst lassen sich mühelos in Unterricht oder Vorlesung zu verschiedensten Teilthemen der zeitgenössischen Musik, Strömungen oder Biografien einbauen.
DVD Edition OPEN YOUR EARS – Wege zur Neuen Musik – Gerd Albrecht
Dieses Erbe des Dirigenten Gerd Albrecht ist über die Famile von Gerd Albrecht durch das Klingende Museum Berlin und eine Stiftungszuwendung zur Veröffentlichung ermöglicht worden. Die DVD-Edition ist bestellbar auf der Website von openyourears oder beim Klingenden Museum in Berlin.
DVD 1 „Widmann“ – Elegie für Klarinette & Orchester
+DVD 2 „Yun“ – Muak (Tänzerische Fantasie für großes Orchester)
+DVD 3 „Kagel“ – Quodlibet für Frauenstimme & Orchester
+DVD 4 „Ligeti“ – San Francisco Polyphony für Orchester
+DVD 5 „Henze“ – Barcarola für großes Orchester
+DVD 6 „Penderecki“ – Partita für konzertierendes Cembalo, elektrische Gitarre, Bassgitarre, Harfe, Kontrabass & Orchester
+Buch (Hardcover) „Gerd Albrecht – Wege zur Neuen Musik“ in englischer und deutscher Sprache (200 Seiten mit Fotos)
Mitwirkende Künstler: Martine Viard (Gesang), Jörg Widmann (Klarinette), Elzbieta Stefanska-Lukowicz (Cembalo), Thomas Schiedel (Bassgitarre), Wilfried Grünberg (elektrische Gitarre), Mariana Schmidt (Harfe), Gerhardt Müller-Goldboom (Kontrabass), Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Gerd Albrecht
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