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Visionen

Dresdner Musikfestspiele stellen Programm für 2019 vor

Es hat nicht lange gedauert bei der Programmvorstellung der Dresdner Musikfestspiele, die am Mittwoch passenderweise im Turmcafé der Technischen Sammlungen an der Schandauer Str. stattfand, bis das assoziativ erwartbare Zitat von Helmut Schmidt fiel: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ Musikfestspiel-Intendant Jan Vogler konterte das von Moderatorin Bettina Volksdorf eingebrachte Zitat passend, indem er konstatierte, der Arzt sei in den gesellschaftlichen Situationen, angesichts derer Visionen entstehen und auch dringend notwendig sind, meist ebenso gefragt. „Visionen“, das heißt für Jan Vogler auch, sich zivilisiert unterhalten über unterschiedliche und durchaus auch gegensätzliche Standpunkte. Musik kann das, sie ist da oft den Worten schon einen Schritt voraus.

Visionen freilich wird nahezu jeder Komponist für sich beanspruchen, ist er nicht allein mit dem Rechenschieber oder in unterkühlter Erfüllung seiner Auftraggeber unterwegs. Insofern ist der Begriff dehnbar genug, um vielfältigste Eingebungen und Darbietungen miteinander zu verbinden und dennoch einen Festivaljahrgang zu prägen, denn Vogler liebt rote Fäden und das gegenseitige Durchdringen der Angebote der Musikfestspiele. So dürfen sich die Dresdner bei ihren Festspielen, die 2019 vom 16. Mai bis 10. Juni stattfinden werden, den visionären Tiefgang beim Konzertbesuch selbst ergründen. Wie in den Jahren zuvor bildet das Motto aber eine eher lockere Klammer um die Konzerte, einen konzeptuell sichtbaren, tiefen Anspruch, der mit der Qualität der Konzerte einhergehen würde, findet man bei dem Dresdner Festival nicht, dafür darf man sich 2019 erneut auf hochkarätige Darbietungen aller Couleur freuen, denen das Gastspiel von Eric Clapton als Abschlusskonzert am 10. Juni nicht nur die genreübergreifende Krone aufsetzt. Moment, Eric Clapton, der legendäre große Rock- und Bluesgitarrist, dessen Konzerte auf dem Weltball ohnehin sorgfältig gesetzt sind? Ja, genau der, freut sich Vogler, der mit dem Musiker schon jetzt fleißig SMS austauscht. Der Stadtrat wird vermutlich schon allein aus Freude über diese Beehrung des hiesigen Kulturpalastes die einmalige Änderung der Eintrittspreisstaffelung positiv bescheiden. Ohnehin steht das Telefon schon jetzt nicht mehr still, dabei – dies sei auch für alle nach dem heute veröffentlichten Programm jubelnden Klassikfreunde vermerkt – startet der Vorverkauf für sämtliche Veranstaltungen erst am 1. Oktober 2018.

Mit 56 Konzerten an 22 Spielstätten in gut 26 Tagen wird annähernd das Volumen des Vorjahres erreicht. Ein wenig entsteht so der Eindruck eines dichteren, rasanter abfolgenden Programms, was aber dem Spannungsbogen der drei Wochen nur guttun kann, so Vogler. Mit einem Etat von rund 5,3 Millionen Euro ausgestattet, wovon das Festival über 50% selbst erwirtschaftet, ist ein facettenreiches Programm möglich – der Kulturpalast wird mit rund 17 Veranstaltungen noch mehr als bisher eingebunden, gut 46000 Tickets werden insgesamt wieder für das Festival in den Verkauf gehen. Gleich zu Beginn, nachdem das Dresdner Festspielorchester, das 2019 auch wieder mit mehreren Konzerten „im Originalklang“ vertreten ist, mit dem Bassisten René Pape die Eröffnung im Kulturpalast bestreitet, geben sich vor allem dort die Weltklasse-Orchester die Klinke in die Hand: das City of Birmingham Orchestra, die Wiener Philharmoniker, das Mariinsky Orchester St. Petersburg, die Staatskapelle Berlin und die Accademia di Santa Cecilia Rom mit großartigen Dirigenten wie Daniel Barenboim, Valery Gergiev, Tugan Sokhiev oder Antonio Pappano. Warum die Accademia mit Gustav Mahlers abgrundvoller 6. Sinfonie ausgerechnet in die Frauenkirche platziert wurde, ist eines der wenigen kleinen Fragezeichen, die sich auftun, so auch die doppelte Darbietung von Alexander Skrjabins wahrlich visionärem „Poème de l’Extase“ im Programm – aber das, seien Sie versichert, kann man gar nicht oft genug erleben.

Besonders freut sich Jan Vogler auf das Dresden-Debüt der lettischen Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla, die seit 2016 die Geschicke des City of Birmingham Symphony Orchestra leitet. Überhaupt sind es viele Künstlerinnen, die im nächsten Jahr begeistern werden, dazu gehören die chinesisch-amerikanische Pianistin Yuja Wang ebenso wie Anne Sophie-Mutter, Fatma Said, Hélène Grimaud oder die weltweit sehr gefragte Sopranistin und Dirigentin Barbara Hannigan, die mit dem LUDWIG Orchester und jungen Solisten Igor Strawinskys Oper „The Rake’s Progress“ aufführen wird. Bereits am 25. Oktober 2018 ist sie im Palastkonzert in Dresden zu erleben.

Dass mit den „Visionen“ vor allem die Bauhaus-Idee der 20er Jahre im Vordergrund stehen wird, ist ein Streif im Programm, der jedoch durch Oskar Schlemmers „Triadisches Ballett“ in choreografischer Neufassung einer Münchner Produktion, die zweimal im Dresdner Schauspielhaus gegeben wird, einen Akzent erhält. Zudem wird in einem Konzert des Pianisten Nikolai Tokarev Modest Mussorgskijs berühmter Klavierzyklus „Bilder einer Ausstellung“ mit einer an einer Kandinsky-Inszenierung aus dem Jahr 1928 orientierten Video-Installation begleitet (2.6., Lichthof Albertinum). Kammerensembles wie das Hagen Quartett und I Barocchisti gastieren ebenso wie schon in Dresden begeistert aufgenommene Kammerchor „Intrada“ aus Moskau und Jordi Savall mit seinen Barockspezialisten „Hespèrion XXI“. Der Cellist Yo-Yo Ma wird Dresden erneut beehren, die Geiger Joshua Bell und Lisa Batiashvili oder der erst jüngst bei der Staatskapelle gefeierte Pianist Jan Lisiecki dürften ebenso für Jubel sorgen. Als Uraufführung wird Cellist Jan Vogler gemeinsam mit dem WDR Sinfonieorchester unter seinem neuen Chefdirigenten Cristian Măcelaru ein neues, für ihn geschriebenes Konzert von gleich drei Komponisten spielen: Nico Muhly (USA), Sven Helbig (Deutschland) und Zhou Long (China) steuern je einen Satz bei – ein Experiment mit offenem Ausgang.

Im mühelosen Grenzübertritt sind die Festspiele ja ohnehin den Kinderschuhen entwachsen und so freuen sich die Jazzfreunde im nächsten Jahr auf Richard Galliano, Nils Landgren & Freunde sowie das herausragende Brad Mehldau Trio. Auch die Auftritte von Schauspieler Josef Bierbichler und dem David Orlowsky Trio, das, in Auflösung begriffen, übrigens hier eines seiner Abschiedskonzerte gibt, werden Höhepunkte sein. Und natürlich vergessen die Musikfestspiele die reiche Dresdner Musikszene nicht: diesmal werden sich unter anderem der Dresdner Kammerchor, AuditivVokal und die Neue Jüdische Kammerphilharmonie in Konzerten vorstellen, daneben gibt es mit der Kreuzchor-„Serenade im Grünen“ und „Dresden Singt und Musiziert“ natürlich wieder Bewährtes und Geliebtes.

 

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