Neues Konzertformat „kapelle 21“ widmet sich der zeitgenössischen Musik
Die sprichwörtliche „lange Nase“ konnte am vergangenen Sonntagabend in den Werkstätten der Semperoper präsentiert bekommen, wer sich zum ersten Konzert der neuen Kammermusikinitiative der Staatskapelle Dresden „kapelle 21“ aufmachte. Allerdings war diese nicht aus Spott und Hohn gezogen – das Konzert fand tatsächlich statt – sondern weil eine allseits bekannte Kindergeschichte, der „Pinocchio“ von Carlo Collodi, hier in neue Töne umgesetzt wurde. Als verlängerte Nase diente eine Klarinette, die vortrefflich von Robert Oberaigner gespielt wurde; ein Kammerensemble von rund 25 Spielern gesellte sich hinzu. Das Ganze war von dem Italiener Simone Fontanelli unter dem Titel „C’era una volta un pezzo di legno“ – „Es war einmal ein Stück Holz“ auskomponiert worden. Das neue Konzertformat startete ohne große Vorankündigungen mit dem Sprung ins kalte Wasser: Dirigent Petr Popelka und Robert Oberaigner – gleichzeitig Initiatoren der neuen Reihe – stellten kleine Ausschnitte einer früheren Fassung der musikalischen Pinocchio-Geschichte für Sprecher und Klarinette solo vor.
Der Verweis auf Richard Strauss war aufgrund der Figurencharakterisierung sinnfällig, das (übrigens zahlreich erschienene und aufmerksam lauschende) Publikum konnte eine Art moderne Tondichtung verfolgen und diese sicher mit einem Bein auch in der Tradition stehende Form instrumentalen Theaters teilt sich über die Geschichte plastisch mit. Die Inspiration des Komponisten entzündete sich an der Tatsache, dass in der Geschichte „nahezu alle menschlichen Emotionen“ enthalten seien. Weshalb wir vermutlich den „Pinocchio“ bis heute so lieben. Für diese Ebenen im Stück fand der Komponist deutlich voneinander abgegrenzte Klangwelten in einer heutigen, durchaus avancierten Musiksprache, so integrierte er etwa innerhalb des großen Ensembles eine kleine Musikergruppe mit wiedererkennbarem Mandolinenklang. Im Gespräch mit Petr Popelka und Robert Oberaigner teilte Fontanelli weitere interessante Details zu seinem Stück mit, so etwa, dass er als Kind oft in dem in der Nähe befindlichen Pinocchio-Park in Collodi, einem Dorf in der Toskana, gewesen ist. Die Mutter des Autors war in dem Dorf aufgewachsen, der Dichter gab sich als Pseudonym später den Namen Carlo Collodi. Trotzdem ist das neue Werk nicht unbedingt allein ein Kindertheater, viel mehr, so der Komponist, sei man ja eigentlich immer Kind geblieben.
Diese spielerisch-freundliche Haltung war ehrlich; sie übertrug sich daher gleichermaßen auf Musiker und Publikum und ließ sogar einen eigentümlich verdrehten Tango oder die Verdunkelung im Bauch des Walfisches zu großen Ereignissen werden. Tatsächlich neue Töne gab es im Stück auch zu entdecken: Oberaigner demonstrierte auf der Klarinette, wie eine eigens für das Stück entwickelte Flatterzungenwelt die sprechende Grille, Pinocchios Begleiter, charakterisiert: „Ich bin jedes Mal froh, wenn ich diese Stelle überstanden habe.“ kündete Oberaigner vom besonderen Anspruch des Werks, und das war durchaus nicht despektierlich gemeint, sondern mit dem Adrenalin der spielerischen Herausforderung formuliert. Dass der Klarinettist solche und noch ganz andere virtuose Herausforderungen mit Bravour besteht, davon durften sich die Zuhörer dann in der eigentlichen Uraufführung in dem auch akustisch annehmbaren Malsaal überzeugen.
Deutlichkeit und Freude war auch das bestimmende Element in dem mehr als nur den Protagonisten begleitenden Kammerensemble. Und wirklich: es ist eine andere Atmosphäre der Aufnahme, wenn Musiker und Komponist vorher in ihre Welten eingeführt haben. Wir sind plötzlich Ohrenzeugen, wenn eine neue Musiksprache entwickelt wird, das „Bewusste und Unbewusste sich in der erklingenden Musik Bahn bricht“, so Fontanelli. Der starke Applaus am Ende galt der von großem Engagement getragenen Interpretation, aber darin hörte man auch: bitte mehr von dieser ominösen, ungemein spannenden Gegenwart! Und ja: das nächste Projekt von kapelle 21 wird das Porträtkonzert des Capell-Compositeurs Peter Eötvös am 11. Januar 2019 im Festspielhaus Hellerau sein. Wir bleiben gespannt.
Foto (c) Matthias Creutziger
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