Die Entdeckung des Graduiertenkollegs „Europäische Traumkulturen“ an der Uni Saarbrücken ließ mich gestern wieder mit meinen Notaten beschäftigen und ich habe überlegt, ob und wie ich die Aufzeichnungen weiterführen werde, da ich mich in der letzten Zeit meinem Traumerleben wieder intensiver widme. Ich habe dieses Traumtagebuch auf dem Blog über acht Jahre hinweg zum Teil sehr intensiv und akribisch geführt, und vor allem dann, wenn ich am Morgen wirklich die Erinnerung und das Nachspüren unmittelbar in die Schriftform bringen konnte. Meine Regel war, die Träume auch im Notieren so zu belassen, wie sie erschienen sind, also auch das Unerklärliche und Unscharfe wirklich aus dem Erlebten heraus zu beschreiben, wobei oft die nachzeichnende Sprache an Grenzen stößt, und das Analysieren zu vermeiden. Beim Nachlesen der Traumnotate wurden manche Träume sofort wieder präsent, mit allen Farben und Situationen. Andere wiederum sind völlig „bildlos“ oder wirken wie von einem fremden Menschen aufgeschrieben. Sie scheinen sich aus meinem (Lese/Wach-)Bewusstsein entfernt zu haben.
Eine Aufzeichnung war in den letzten beiden Jahren oft unmöglich, weil viele Phasen dabei waren, wo sich kurz nach dem Erwachen eine Art Leerzustand zeigte, also quasi mit dem Auftauchen aus dem Schlaf auch sämtliche Traumbilder komplett weggewischt waren, obwohl ich mir sehr sicher war, geträumt zu haben und manchmal noch ein einzelner Fetzen, eine Person, ein Satz oder ein Wort übrig waren. Der krampfhafte Versuch, mich zu erinnern, scheiterte meist. In anderen Zeiten der letzten beiden Jahre hatte ich schlicht keine Muße oder Lust gefunden, die Träume hier aufzuschreiben. Trotzdem landete einiges in meinen Notizbüchern, weshalb ich wenigstens heute die Brücke zwischen Nr. 128 (der letzte Eintrag) und heute schlagen will:
Der wohl heftigste Traum muss etwa vom Oktober 2017 datieren, ich würde ihn nun als Nr. 129 aufnehmen. Ich bin mit einem Urschrei aufgewacht und saß aufrecht im Bett. Zuvor war ich Gott und habe die Erde mit meinen Armen geöffnet, wie in einer Art Expander. In diese Öffnung ist dann „was reingefahren“ und dann kam der Schrei, von diesem wahnsinnigen Kraftausdruck befeuert.
Viele der erinnerten Träume der letzten beiden Jahre beinhalten ähnliche Elemente, nämlich Reisen (mit Zug, Bus, Flugzeug, Auto), Kofferpacken, Ankommen und Abfahren, sehr oft auch in Verbindung mit dem Chor, mit dem ich ja früher sehr viel unterwegs war. Ohne sie in die Nummerierung einzubeziehen, hier einige Notate: 26.12.17 Hund mit Pilz und kleinen Tieren, 27.12. Puccini Turandot Finale und Fagott, 28.12. mit dem Auto durch Frankreich, geschlossene Ortschaften, Tempo, viel Sex. 2018 dann ein Notat am 16.8.: ich habe ein Auto gewonnen. 2018 im Dezember: 21.12. „ein Gefühl von Wärme und Liebe“, 23.12. eine Opernszene, 24.12. Reisebus, 27.12. sexueller Traum (sanft).
Die Träume der letzten Tage habe ich aufgeschrieben, daher erhalten sie die Nummerierung 130-133. 2.1.19 jemand baut meine Fahrräder in kleinste Einzelteile auseinander, ich protestiere, 3.1. mit dem Chor im Bus unterwegs, Panne auf der Autobahn, auf den Straßen nach Hilfe gesucht, 7.1. eine Art Performance in einem geschlossenen Raum, der wie eine Theaterbühne genutzt wird, kriechende Leiber, alle Themen und Leute ineinander, 8.1. Indien, mache Sightseeing vom Hotel aus, alleine, fahre auch Auto dort, M. dort, Chor auch dort, „16 Uhr Probe“, 22.1. (heute!) bin auf einem Ikea-Parkplatz und rangiere mit meinem Auto ohne Rücksicht auf Verluste, fahre Autos ineinander, Blechschäden. Als ich den Parkplatz verlassen will, Blaulicht. Die Polizei kriegt mich.
Ich werde das Traumtagebuch – damals inspiriert durch Michel Leiris ‚Nuits sans nuit‘ – ab heute wieder aufnehmen, auch, weil ich damit wieder einen bewussten Zugang zu mir öffne, der in der vergangenen Zeit in den Hintergrund geriet. Die Aufmerksamkeit dafür im nachbetrachtenden Schreiben schafft eine Präsenz von dem, was sich in den Nacht- und Ruhezeiten zeigt und zu mir gehört. Ich weiß, dass dies ein intimes Kapitel dieses Blogs ist, gleichwohl vertraue ich den Worten und ich finde kein Argument, warum ich die unglaubliche Schönheit, Wucht und Anderswelt der Träume nicht mit anderen teilen sollte.
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