Skandinavisches zu Ostern bei der Dresdner Philharmonie
Traditionell tauscht die Dresdner Philharmonie zu Ostern für ein paar Stunden die Feiertagsentspannung mit einem musikalischen Festtagsprogramm im Kulturpalast ein. Weniger dem Kirchenfest verbunden, wird dann vom Orchester zumeist ein den Ohren genehmes sinfonisches Programm präsentiert, das, so kennen wir unsere Philharmoniker, aber immer einen gewissen Anspruch oder eine Thematik einschließt, die auch länger nachklingen darf. Fast schon nach dem frühlingshaften Wetter mit dem Hoch über Nordosteuropa ausgerichtet, wies die Kompassnadel des Konzerts am Ostersonntagabend ebenfalls nach Norden. Und keinesfalls wurde dabei für Abkühlung gesorgt, denn das spätromantische Violinkonzert des Finnen Jean Sibelius ist von einem heißblütig-drängenden Charakter bestimmt. Für das Kolorit sorgten zwei in diesem Metier versierte Gäste: die lettische Geigerin Baiba Skride hat es erst vor wenigen Jahren auf CD eingespielt und dem finnischen Dirigenten John Storgårds liegt die Musik seines Landsmanns ohnehin im Blut.
Skrides unverwechselbar temperamentvoller Zugriff passte auch zu Storgårds glutvoller Lesart des Konzerts, womit beide durchaus risikoreiche Wege im ersten Satz beschritten, denn ganz auf der Höhe von Intonation und Homogenität wollten sich weder Solistin noch das Orchester hier einfinden, stattdessen regierte impulsive Musikalität. Als Skride dann gerade eine innige, dennoch strömende Stimme für die Linien des 2. Satzes gefunden hatte, schlug leider das Geigen-Pech einer plötzlich reißenden Saite zu, das jeden Streicher früher oder später trifft – hier leider einmal in einem äußerst ungünstigen Moment. Skride reagierte professionell und spielte mit Heike Janickes Konzertmeistergeige weiter, während Skrides Stradivari von Ralf-Carsten Brömsel behende hinter der Bühne „flottgemacht“ wurde, sodass das Trio vor dem 3. Satz noch einmal die Instrumente tauschen konnte.
Eine weitere Betrachtung der Interpretation verbietet sich hier eigentlich, denn natürlich war nun die Spielenergie eine andere und auch im 3. Satz hatte Baiba Skride noch mit der Feinabstimmung des neu besaiteten Instruments zu tun. Dennoch griff sie auch hier beherzt zu und versuchte, sich von dem Zwischenfall nicht beirren zu lassen, und gegen Ende wirkte ihr Spiel auch wieder freier und mutiger. Sie bekam einen großen, respektvollen Applaus des Publikums und bedankte sich mit einem Glocken imitierenden Sonatensatz von Johann Paul Westhoff, einem Dresdner Barockkomponisten, der ab 1674 in der Hofkapelle wirkte.
Die Philharmoniker legten nach der Pause mit skandinavischer Sinfonik nach und John Storgårds hatte hier auf jeden Fall ein besseres Händchen als noch bei Sibelius, wo ihm einige Male die Klangbalance verrutschte. Dass die 5. Sinfonie Opus 50 des Dänen Carl Nielsen in beiden Sätzen eine kantige, dynamisch oft herausfahrende oder flächig-laute Struktur offenbarte, unterstützte John Storgårds mit einem fordernd-energischen Dirigat, das aber genau für dieses Stück eine gewisse Maßlosigkeit besaß, die eben auch Nielsens Partitur schon in der flirrenden Streicherfläche des Beginns zeigt. Überdies, davon konnten sich die Zuhörer fasziniert überzeugen, weist das 1922 uraufgeführte, nur zweisätzige Stück weit in die Moderne: die zwei großen Satzblöcke zeigen zwar spätromantische Klangfarben, aber das aus dem Takt fallende Solo der Kleinen Trommel im 1. Satz (Gido Maier) und die beiden großräumigen Steigerungen der Sinfonie sind einzigartig – im 2. Satz schälen sich daraus sogar noch die Flöten heraus, die den Höhepunkt quasi weiter vor sich her treiben, noch einmal das Panorama weitend. Die durchweg polyphone Anlage des Werkes plastisch und auch akustisch sauber im Saal „hinzulegen“, war ein hartes Stück Arbeit für die Philharmoniker, und Storgårds trieb diesen Nielsen-Motor auch bis zum hymnischen Schluss immer weiter an. Dafür gab es sogar vom Rang einige österliche Bravo-Rufe.
- CD-Tipp: Violinkonzerte von Jean Sibelius und Carl Nielsen, Baiba Skride, Tampere Philharmonic Orchestra, Santtu-Matias Rouvali, Orfeo (2015)
Foto Baiba Skride (c) Marco Borggreve
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