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Krasse Klangflächen

Landesjugendorchester Sachsen mit einer Erstaufführung von Gavin Bryars im Gepäck

Dass es heutzutage bei der Ausbildung junger Musiker auf einen besonders breiten Horizont der Musikerfahrung ankommt, klingt zunächst einmal selbstverständlich, doch beim vielen Üben und Vorspielen des berühmten „Repertoires“ gerät diese Flexibilität manchmal in den Hintergrund. Gut also, dass das Landesjugendorchester Sachsen, in dem sich die besten jungen Instrumentalisten der Region Jahr für Jahr für zwei Projekte zusammenfinden, sich meist einem Thema oder Motto verschreibt, das auf kreative Weise den Spielhorizont erweitert, die Talente und Fähigkeiten vertieft und auch noch das Publikum staunen läßt. Auch 2019 präsentiert sich das Ensemble wieder als lebendiger, sich immer wieder aus seinen Mitgliedern neu generierender Organismus und verbindet auf sympathische Weise (s)einen hohen Anspruch mit Spielspaß.

Ob sich die Jugendlichen das Motto „Tanz und Trance“ diesmal selbst ausgesucht haben? Die Definition von Trance als einem „dem Schlaf ähnlichen Dämmerzustand“ dürfte ja eventuell aus anderen Zusammenhängen bekannt sein… Nicht wirklich taugt eine solche Haltung jedoch für ein Sinfoniekonzert. Oder war gar das elektronische Musikgenre gemeint? Man war gespannt. Gleich beim ersten Stück war es jedenfalls mit schlafähnlichen Zuständen im Publikum im Konzertsaal der Musikhochschule am Sonntagabend vorbei, denn Jean Philippe Rameaus Tänze aus dem Ballett „Les Indes Galantes“ sprühen vor Lebendigkeit. Moment – nächster Zweifel, Barockmusik mit dem Landesjugendorchester? Aber natürlich! Und sogar mit 40 Streichern! Denn eine Aufführungspraxis muss nicht immer akademisch und staubtrocken-korrekt daherkommen, sondern kann auch einfach mal bedeuten, Rameaus herrliche Musik mit einem tollen, jungen Ensemble lebendig darzustellen. Vieles entfaltet sich da nämlich ganz von selbst, die Phrasierungen der Bläser etwa oder die Kunst, eben genau mit den vielen Streichinstrumenten doch gemeinsame Betonungen zu finden und viel aufeinander zu hören. Tänzerisch federnd nahm der Gastdirigent Christoph Altstaedt diese Suite, und schon hier glänzten in mehreren Sätzen fünf Schlagzeuger des Percussionsensembles Markkleeberg.

Die jungen Percussionisten waren dann mit ihren Mallet Instruments (Stabspiele wie Vibraphon, Marimba und Xylophon, dazu einige Gongs und Becken) die Stars des folgenden Stücks, das – man glaubt es kaum – als deutsche Erstaufführung erklang! Der 1943 geborene Brite Gavin Bryars schrieb das Concerto „New York“ im Jahr 2004 und bezog sich damit nicht auf die US-amerikanische Metropole, sondern auf einen gleichnamigen Weiler im britischen Lincolnshire. Das aber tritt alles in den Hintergrund, wenn das Stück beginnt, das aus einer einzigartigen Textur zwischen den sechs permanent spielenden Percussionisten und einem sanft begleitenden Orchesterensemble besteht – niemals auftrumpfend, aber immer in changierenden Flächen quasi im Unterwegs befindlich. Was Dozent Thomas Laukel da mit den Schlagzeugern vorbereitet hat, war absolut faszinierend – der jüngste der Sechsergruppe ist gerade zehn Jahre alt, und doch spielen alle zusammen im akustisch schwierigen Umfeld des Konzertsaals mit mehr als einem Dutzend Schlegeln und erzeugen so eine krasse Klangfläche. Trance? Vielleicht entsteht so etwas beim zweiten Hören, beim ersten Mal war man schlicht hellwach und begeistert.

Der Abschluss des Konzerts geriet dann wieder klassisch – mit Ludwig van Beethoven. Beethoven und Tanz? Was um 1800 in Wien als Ballettmusik offeriert wurde, gehörte ja nicht unbedingt zur künstlerischen Avantgarde. Aber Altstaedt und das Landesjugendorchester griffen zur 7. Sinfonie A-Dur und die ist nun in ihren Charakteren vom schreitenden 2. Satz bis hin zur übersprudelnden Freude des Finales absolut „tanzbar“. Dass man mit einem einzigen Stück von Beethoven niemals in einem Leben fertig ist, hat einmal Herbert Blomstedt gesagt, und vielleicht ist das auch der passendste Kommentar zu dieser Aufführung, die von unbändigem Musizierwillen, Konzentration und Spaß aller geprägt war, aber im Finale auch risikoreich mit Altstaedts angezeigtem Turbotempo knapp über einige Grenzen des Machbaren in der Homogenität und Intonation schritt. Und trotzdem liegt genau in dieser Erfahrung im Hören wie im Spielen doch vielleicht das Wertvolle, was wir suchen, wenn wir uns von der Repetition des Immergleichen endlich einmal entfernen wollen: den perfekten Tanz braucht niemand.

 

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