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Ungewöhnlich und mutig zugleich

Cellokonzert „Drei Kontinente“ bei den Dresdner Musikfestspielen uraufgeführt

Um Visionen geht es bei den diesjährigen Musikfestspielen, und da sind unbedingt die heute aktiven Generationen von Komponisten zu befragen. Die Idee des Festspielintendanten und Cellisten Jan Voglers, sich ein neues Cellokonzert kreieren zu lassen, das Perspektiven aus drei Kulturen vereint, ist ungewöhnlich und mutig zugleich, da der Instrumentalist Vertrauen und Neugier äußert, sich aber gleichzeitig der Verantwortung der Uraufführung stellt – komme was, da kommen wolle. Bei aller Vorsicht in der Durchmengung des eigentlich kulturell Individuellen, Unvereinbaren zeigt sich die lebendige Forschungsabsicht schon in der Person Voglers, der selbst als cellierender Weltbürger kontinuierlich Erfahrungen zwischen den Kulturen sammelt, insofern erscheint diese Trilogie konsequent.

Sven Helbig, Jan Vogler, Cristian Măcelaru, Zhou Long, Nico Muhly (v.l.n.r.)

Zusammengesetzt wurden die neuen Werke von Nico Muhly, Sven Helbig und Zhou Long in den letzten Tagen in Köln beim WDR Sinfonieorchester, das nun am Sonntag mit der Uraufführung und weiteren Werken im Kulturpalast Dresden gastierte. Die Leitung hatte der designierte Chefdirigent des Ensembles, der Rumäne Cristian Măcelaru übernommen, der auch gleich zum Einstieg ein weiteres Stück zeitgenössische Musik mitbrachte, das aber angesichts der Wucht des Kommenden etwas verblasste: Gabriella Smiths „Field Guide“ war ein sozusagen mit dem Feldstecher komponiertes Stück, das alle möglichen Geräusche und Farben aus Wald und Flur auf ein Sinfonieorchester projizierte. Die traditionsreiche Kernkompetenz der Selbstverständlichkeit in der klanglichen Umsetzung solcher Stücke des WDR Sinfonieorchesters war damit schonmal bewiesen.

Und die war dann im Cellokonzert gleich dreifach zu bewundern, wobei jeder Komponist einen in sich abgeschlossenen Satz beisteuerte und allen dreien nur die Gesamtidee bekannt war. So bewahrten sich die Komponisten ablenkungsfrei ihre eigene Handschrift, und die Stücke wirkten in sich auch so geschlossen, dass auch eine einzelne Aufführung denkbar wäre. Ihren Mentor und Auftraggeber schonten sie allerdings alle drei nicht, und Jan Vogler setzte sich im Kulturpalast mit Begeisterung für die druckfrischen Noten ein. Er musste sich tatsächlich in jedem Satz neu erfinden, da jeder der drei Komponisten andere Qualitäten seines Instruments herauskitzelte.

Das war im ersten Satz „Cello Cycles“ des US-Amerikaners Nico Muhly (geboren 1981) eine vielleicht mit dem Wort „verquer“ am besten zu fassende Art einer sinfonischen Suche im Konzentrischen, und damit gleich ein Modell eines dramatischen, komplexen Kopfsatzes, in dem Vogler sich durch alle Register hindurch erst einmal aus dem dichten Orchestertutti herausarbeiten musste. Das Dickicht blieb, als harmonische Basis schimmerte beinahe Bach durch, das Ende wirkte zerfasert: dieser Kontinent gab sich zerrüttet und gottlob hier einmal nicht idealisiert. Der Mittelsatz gehörte dem Deutschen Sven Helbig (Jahrgang 1968), der mit einer „Aria“ die gesanglichen Qualitäten des Cellos betonte und sich ästhetisch in bekannten Bereichen einer Stimmungen in den Vordergrund hebenden, tonalen Musik aufhielt. Die Funktionalität wich aber der kulturellen Frage aus – man erkannte hier nur ein Idiom eines dunkel timbrierten Adagios. Zudem gab es hier wie auch bei Muhly akustische Probleme der Instrumentation mit der Zudeckung des Solisten, die vielleicht weitere Aufführungen lösen werden.

Die Komponisten, Jan Vogler, Cristian Măcelaru und das WDR Sinfonieorchester nehmen den Applaus im Kulturpalast Dresden entgegen.

Das Finale gehörte dem aus China stammenden Komponisten Zhou Long (geboren 1951), dessen Musik so viele Einflüsse vereint, dass man sein Stück „Tipsy Poet“ ohne weiteres als polyfolkloristisch bezeichnen könnte. Long begriff das Orchester und auch das Soloinstrument als riesige, sinnliche Spielwiese und richtete auf hohem Niveau eine mit Ereignissen vollgepackte Notenschlacht aus, in der betrunkene Dichter, chinesische Volksmusik und aberwitzige Effekte einen Platz bekamen. Jan Vogler stürzte sich auch in dieses Abenteuer mit vollem Risiko und höchster Konzentration und wurde ebenso wie die Komponisten und das Orchester mit sattem Applaus belohnt.

Einer „Eroica“ hätte es eigentlich nach diesem Input gar nicht mehr bedurft, dennoch freute man sich natürlich über die saftige Interpretation der Sinfonie von Ludwig van Beethoven nach der Pause, mit der auch Măcelaru seine Visitenkarte als künftiger Leiter des Orchesters zeigte. Überwiegend dramatisch, rasant und theatralisch in Szene gesetzt gab sich dieser neue Kölner Beethoven. In (zu) wenigen Passagen gab Măcelaru seinen tollen Musikern Raum zur Entfaltung, dann aber fiel die Musik meist aus dem Tempo heraus oder Übergänge atmeten nicht mehr – das Horn-Trio im 3. Satz etwa glitt vorbei, als hätte man eine Fast-Forward-Taste gedrückt. Vielleicht ist die Übertreibung ein probates Mittel der Darstellung in der Musik, ob das Maß hier stimmte, darüber darf es unterschiedliche Ansichten geben.

  • Das Konzert wird am 30. Mai um 20.04 Uhr auf WDR 3 sowie am 7. Juni um 20.05 Uhr bei MDR Kultur gesendet und wurde auch für den YouTube-Kanal der Musikfestspiele aufgezeichnet.
  • weitere Rezension bei der Freien Presse

Fotos (c) Oliver Killig

 

 

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