Hélène Grimaud mit einem Rezital bei den Dresdner Musikfestspielen
Wenn ein Klavierabend viel mehr ist als nur eine Aufführung von komponierten Werken im festlichen Rahmen, dann hat man es mit besonderen Interpreten zu tun, die gar nicht etwa willentlich diesen Veranstaltungen Glanz und Glitter verleihen wollen, sondern so tief in die Musik eindringen, dass sich für den Zuhörer, oft auch für die Interpreten selbst, weitere Türen öffnen. Vielleicht liegt das in der fasznierenden Unerklärbarkeit von Musik als Zeiterlebnis, und genau dem will die französische Pianistin Hélène Grimaud auch in ihrem Programm „Memory“ nachspüren, das einige Stücke vereint, die Erinnerung und Davonschweben ebenso möglich machen wie auch ein feines Gespür von Gegenwart, wozu eben Musik als vergängliche Kunst auch in der Lage ist.
Am Sonntagvormittag spielte sie vor dem Eisernen Vorhang in der Semperoper im ersten Teil ein Programm mit mehreren kürzeren Kompositionen überwiegend französischer Komponisten. Sie konnte sich von Beginn an auf ein mitatmendes Publikum verlassen, das Teil dieser kontemplativen Atmosphäre wurde, die die Stücke des ersten Teils verströmten. Übergangslos verband Grimaud die lediglich simpel erscheinenden Bagatellen des Russen Valentin Silvestrov mit Debussy und Satie, knüpfte Tonartfreundschaften und öffnete einige Türen, hinter denen sich imaginäre Walzer und Arabesken bewegten. Das alles war in einem poetischen Urgrund, einer Art innerem Spielplatz vereint, der zunächst einmal alles Laute, alles derb von draußen Bellende draußen ließ.
Dann aber machten sich die Stücke unter Grimauds Fingern selbständig: spätestens mit Erik Saties „Gnossienne Nr. 1“ übernahmen sie quasi das Kommando und auf irgendeine verrückte Art spielte die Musik durch Grimaud hindurch, was Debussy wunderbarem Walzer „La plus que lente“ einen fast irrealen Charakter einhauchte. Das setzte sich noch in Chopins Mazurka a-Moll mit einem sich jeder Ordentlichkeit entziehenden Pulsieren fort. Mit einem hübschen Salonstück hatte das nichts mehr zu tun, und genau diese entdeckte Qualität der Musik war atemberaubend. Diesem Höhepunkt konnte Hélène Grimaud dann bis zur Pause nur noch eine Art Auftauchen hinzufügen, der „Grande valse brillante“ erschien kühl, der Mond im „Claire de lune“ stand gleißend über der Fläche, Saties „Danse de travers“ Nr. 2, konnte den Zeitstrahl noch einmal dehnen.
Schon hier jubelte das Publikum, es dufte sich aber im zweiten Teil noch durch die acht Fantasien „Kreisleriana“ von Robert Schumann durcharbeiten. Grimaud eröffnete gleich mit dem ersten Stück „Äußerst bewegt“ eine Art Kraftraum, der, im ersten Teil platziert, vermutlich zu einem Erdriss geführt hätte. Hier aber bildete der Satz das erste Ausrufezeichen der im Zyklus immer etwas übertrieben, auch extrovertiert wirkenden Fantasien und Grimaud suchte für jeden Satz einen klaren Ausdruck zu finden. Das gelang ihr nicht immer, da Schumann selbst zu jeder Eindeutigkeit eine gedankliche Umleitung eingefallen ist, und – was unbedingt legitim und menschlich ist – mancher Charakter der Pianistin an diesem Vormittag absolut nah und vertraut erschien, manches in verstehender Distanz erst einmal gewonnen werden musste. Am Ende gab es auch hier ein pianistisch leicht schwingendes Auftauchen und dann ein dankbares Lächeln von Grimaud an das Publikum, das lang anhaltend jubelte. Mit Janáček, Rachmaninow und Brahms wurde es dann in den Zugaben noch einmal kraftvoll und wild – vielleicht war dieses Temperament schon der erste Geschmack eines ihrer kommenden Programme?
Fotos (c) Oliver Killig
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