Marek Janowski dirigiert italienische Chorsinfonik im Philharmoniekonzert
Vordergründig hätte man beim Philharmoniekonzert am Sonnabend einige begriffliche Paare bilden können, die Verbindendes aufzeigten: zwei Werke von italienischen Komponisten, beide mit einer großen, präsenten Chorpartie versehen, zudem bildeten geistliche Texte und Gebete das Gerüst. Eine weitere, elementar und erst durch die Aufführung wirkende Gemeinsamkeit war die Transzendenzfähigkeit beider Stücke in einen Wirkungsraum, der uns, die Konzerthörer, direkt und emotional ansprach und dank Janowskis Interpretation auf eine ernsthafte Weise mitriss. Man kam nicht umhin, sich nach den Schlussakkorden beider Werke auch mit dem Gehörten auf einer tieferen Ebene auseinanderzusetzen, gleich, ob man die Texte verstanden hatte oder etwa die – aus unterschiedlichen Gründen todgeweihten und sich daher in Gebet oder Anrufung versenkenden – historischen Figuren Maria Stuart, Boethius und Girolamo Savonarola nicht kannte, denen Dallapiccola für sein Werk eine Stimme verleiht.
Um in solche Dimensionen des Menschlichen vorzudringen, war eine Menge Arbeit vonnöten, denn das in den Jahren 1938-41 entstandene, durchweg zwölftönig erdachte Chorwerk von Dallapiccola ist eine absolute Herausforderung für jeden Chor, auch für den MDR Rundfunkchor, dessen hervorragender Fähigkeiten sich Janowski in diesem Konzert versichern konnte. Das Konzert war dann am intensivsten wirkend, wenn Janowski mit den Musikern in der Ebene anlangte, wo es nicht mehr um richtige Töne ging, sondern um einen stimmigen Ausdruck, eine Botschaft. Das gelang im zweiten und dritten Satz besser als im ersten, der zwar intonatorisch fast immer gut saß, aber in der verständlichen Vorsicht des Formenden verweilte. Andererseits wäre es auch irrwitzig gewesen, wenn diese düsteren Gefangenengesänge („in dura catena“ – „in harten Ketten“) eine freie Musikalität erfahren hätten.
Eher spürte man Janowskis Willen deutlich, mit den Schlaginstrumenten, Harfen und Klavieren samt dem gut timbrierenden Chor die musikalischen Farben der Einschnürung und Ausweglosigkeit, aber auch aufblitzender Hoffnung, etwa einem „In te Domine speravi“ in den Altstimmen, freizulegen. Im zweiten Teil des Konzerts stellte sich heraus, dass in diesem Satz so etwas wie eine Inschrift des Konzerts lag, denn Giuseppe Verdi stellt ihn mit einem Sopran-Solo (Iwona Sobotka sang diese himmelstrebende kurze Partie aus dem Rang gegenüber der Bühne) an das Ende seiner höchst disparaten, ohnehin am eigenen Lebensabend komponierten „Quattro Pezzi Sacri“, stellt aber die Aussage noch mit schweren Moll-Akkorden noch in Frage. Hoffnung? Davon gab es zuvor im Stück eigentlich reichlich, denn Verdi singt, Verdi schwelgt und Verdi übertreibt auch manches Mal, wenn er im Text Sieg und Paradies in Reichweite sieht.
Doch die Phrasen sind hier kurzatmig, der Chor steigert sich bis ins fortissimo, um gleich danach wieder in Innigkeit zusammenzufallen. Das aber gelingt mit Janowskis gestaltenden Händen dem MDR Rundfunkchor Leipzig (Einstudierung Denis Comtet) und der nun in voller Besetzung spielenden Dresdner Philharmonie eindrucksvoll, wobei Janowski in meist flüssigen Tempi auch Unterschiede und Widersprüche bestehen lassen kann: das über einer enigmatischen Tonreihe aufgebauten „Ave Maria“ entfaltet so eine brucknersche Würde, der Frauenchor an dritter Stelle eher plastische Erzählkraft. Auch die aus dem Requiem bekannte Gewalt kitzelt Janowski hervor, sie steht aber nicht separat und kalt, sondern ordnet sich mit Dallapiccola in einen Kontext wahrer menschlicher Regungen ein. Das erreicht auch das Publikum im Kulturpalast, das vielleicht diesmal nicht so zahlreich erschienen war, aber einen gedankenreichen, hochintensiven Konzertabend verbrachte.
Foto (c): Björn Kadenbach
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