Junge Deutsche Philharmonie spielte Lachenmann und Strauss in der Frauenkirche
Herbstzeit heißt für viele Orchester Tourneezeit. Das ist gut für’s Renommee der Ensembles und freut auch die Veranstalter, denn den bunten Farben der Jahreszeit gemäß ist so auch für vielstimmige musikalische Abwechslung gesorgt. In der Frauenkirche Dresden war am Dienstagabend die Junge Deutsche Philharmonie zu Gast, ein Ensemble, in dem sich seit 1974 Studierende der deutschen Musikhochschulen zusammenfinden – seit 2014 betreut der britische Dirigent Jonathan Nott die wesentlichen Projekte. Auf der diesjährigen Herbsttour durch europäische Konzertzentren standen zwei große sinfonische Werke von Helmut Lachenmann und Richard Strauss auf dem Programm.
Ein herausfordernder, geradezu frecher Kontrast war einer solchen Dramaturgie nicht abzusprechen, doch es gibt da durchaus auch Gemeinsamkeiten, wenn man etwa die Leistungen beider Komponisten in ihrer jeweiligen Zeit etwa auf dem Gebiet der Erfindung und Entwicklung von Klangfarben betrachtet. Dass man ausgerechnet lediglich den zeitgenössischen Teil des Konzerts wirklich genießen konnte, lag an den akustischen Gegebenheiten der Frauenkirche, die den zweiten Teil des Konzerts torpedierten. Lachenmanns 1980 uraufgeführte „Tanzsuite mit Deutschlandlied“ ist ja eine äußerst filigrane und in der Summe auch sehr sinnliche Partitur.
Dass die Aufführung dann den Eindruck einer Leichtigkeit hervorrief, ist eine Seltenheit bei der angeblich so schwer zu spielenden und zu verstehenden zeitgenössischen Musik. Hier war eine Schwelle hin zu einem tiefen Verständnis im Orchester gut überschritten, so dass selbst in leisestem Knacksen und Murmeln noch der große Schwung, der Tanzcharakter erkennbar und sogar gewahrt blieb. Wie Jonathan Nott und das Orchester allein bei der wie durch einen Gaze-Vorhang musizierten Polka mitgingen, war faszinierend. Allerdings ist mal wieder müßig zu überlegen, ob das moderne Stück, der Dienstagtermin oder das Wissen um die folgende Metzelung der Strauss-Partitur das Gros der Zuhörer von einem Besuch abgehalten hat. Jedenfalls verpassten sie bei der Lachenmann-Aufführung einen überaus sinnlichen, absolut kompetent dargebotenen Klangkrimi, bei dem sogar hier und da subtiler Humor aufblitzte. Weniger überzeugend war die Einbettung des solistische Aufgaben übernehmenden Streichquartetts in diesem Stück: das US-amerikanische Jack Quartet zeigte sich zwar ebenso versiert mit Lachenmanns Musik, war aber die meiste Zeit vom Orchesterpart trotz Verstärkung kaum abgehoben.
Idealerweise hätte man nach diesem spannenden ersten Teil das Konzert beenden müssen oder das Programm ändern sollen. Auf diese Idee kam allerdings niemand, stattdessen drängten sich nun 105 Musikerinnen und Musiker im Altarraum, um Richard Strauss‘ Tondichtung „Ein Heldenleben“ zu stemmen. Nach etlichen ähnlichen Erfahrungen mit ohrenklingelnden Darbietungen spätromantisch-großbesetzter Sinfonik am gleichen Ort sei die Frage erlaubt, ob das offenbar dramaturgisch unbetreute Mitnehmen solcher Gastspiele in der Dresdner Frauenkirche tatsächlich bestehen bleiben soll. Von einem Musiker wie Daniel Hope, der als „Artistic director“ die Konzerte in der Frauenkirche kuratiert, sollte man erwarten können, dass er auch die Grenzen des Machbaren im Blick behält (NB: Das am Donnerstag veröffentlichte Musikprogramm 2020 scheint zumindest einen deutlicheren Akzent auf Konzerte mit Kammerorchestern zu legen). Dabei konnte das in der Einzel- und Gesamtleistung ganz sicher fabelhafte Orchester selbst herzlich wenig dafür.
Natürlich blieb das große Geigensolo von Konzertmeister Moritz König in Erinnerung, das sich im Raum frei entfalten durfte und achtsam begleitet war. Und es war auch zu beobachten, dass in diesem letzten Konzert der Tour das Ensemble sehr gut innerhalb der Gruppen harmonierte. Doch weite Teile der Tondichtung waren eben ein Glücksspiel und Nott zog vieles in kapitulierend wirkenden, meist vorwärtsdrängenden Tempi durch. Der Folgsamkeit des Ensembles konnte er sich gewiss sein, des nicht zu verhindernden Klangsalats in den polyphonen Tutti-Passagen ebenfalls. Eine Empfehlung für die lautesten und größtbesetztesten Werke der Musikgeschichte sei bei allem verständlichen Vermarktungswillen an symbolisch-historischer Stelle hier geäußert: 100 Meter von der Frauenkirche entfernt befindet sich ein mittlerweile international gerühmter Konzertsaal, der für solche Werke hervorragend geeignet ist.
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