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Reimann um acht, Schubert zur Nacht

Ein vierstündiges Porträtkonzert des Capell-Compositeurs Aribert Reimann in Hellerau

Für den Komponisten ist es eine nicht alltägliche Ehrung, für die Musiker eine intensive, oft auch neuartige und immer neugierige Auseinandersetzung und ebenso für die Zuhörer eine spannende Begegnung: das Porträtkonzert des Capell-Compositeurs Aribert Reimann war schon im Ansatz mutig, weil man sich gemeinsam das ungewohnte Format eines mehrstündigen und mehrteiligen Konzertabends traute, der zudem ganz der Kammermusik verpflichtet war.

Sie fragen sich vermutlich, wer noch abends um dreiviertel elf nach gut dreieinhalb Stunden Konzert immer noch neue Musik hören mag? Im für die Kammermusik der Staatskapelle Dresden gastgebenden Festspielhaus Hellerau war es ein große Schar Zuhörer, die aufmerksam die Darbietungen verfolgte. Das Konzert war in drei Blöcke geteilt und kam im äußeren Gewand minimalistisch daher. Die Musik von Aribert Reimann braucht keine Bühnendeko und auch keine aufgesetzte Verpackung oder Intialisierung: sie ist stark genug, um für sich selbst zu sprechen, und die Aufforderung zur Konzentration auf die gespielten Töne ist in einer von Äußerlichkeiten gefluteten Zeit schon fast eine Hervorhebung wert. Lediglich die Tontechniker, die die Bühne in flüssiger Hand-in-Hand-Arbeit für einen Radiomitschnitt umbauten, waren stille Figuren des Übergangs von einem Stück zum nächsten.

Was sich dann in der Musik aufblätterte, war ein tolles Panorama der Musiksprache von Aribert Reimann, der zu den faszinierendsten und wichtigsten Komponisten unserer Zeit gehört und vor allem durch seine Musiktheaterwerke bekannt ist. Enttäuscht wurde vielleicht, wer sich in der Ästhetik einen radikalen Neutöner (aber was ist das?) erwünscht hatte: Reimanns Radikalität ist subtiler und in der Linienführung der Musik sowie damit einhergehend in einem starken Formdenken aufspürbar, deren musikalische Aussagekraft oft erst durch die Entwicklung oder Veränderung der in den ersten Takten vorgestellten Zellen oder Motiven deutlich wird. Auf diese Reise kann man sich aber offen begeben und entdeckt bei Reimann Erstaunliches jenseits einer Sensationsheischerei.

Aribert Reimann

Gleich das erste Stück, ein „Solo“ für Viola (Stephan Pätzold) machte deutlich, wie geschlossen Musik wirken kann, wenn sie mit wenigen Elementen spielt, die sich immer neu verbinden, aber die Basis der Stimmung nie verlassen. Und im nächsten Werk, das gleich wesentliche Bezugspunkte von Reimanns Schaffen in einem Stück verband, nämlich Stimme, Literatur und einen wie durch ein Fernrohr angezielten Punkt in der romantischen Tradition, der hier Felix Mendelssohn-Bartholdy hieß: „…oder soll es Tod bedeuten?“ verband in acht Liedern das 19. Jahrhundert mit dem Heute und Reimanns Intentionen wiederum mit einer vielschichtigen Interpretation durch die Sopranistin Carolina Ullrich und ein Streichquartett.

Später gab es noch weitere Solostücke, die wiederum ganz andere Reimann-Facetten zeigten: ungestüm und herausbrechend etwa für das Cello (Norbert Anger) oder mit endlos gedachten (Atem-) Bögen an Grenzen zielend bei der Oboe (Céline Moinet). Sämtliche Werke waren mit starker Intensität und – genau dies fordern Reimanns Werke unbedingt – bewusster Individualität von den Kapellisten vorgetragen. Damit bekam der Kammerabend einen schönen prosaischen Charakter, gleich ob nun einer, vier oder zehn Musiker Gelegenheit zur Äußerung bekamen. Im Gespräch mit Moritz Lobeck deckte Aribert Reimann noch seine besondere, auch familiäre Beziehung zur Biographie von Robert Schumann auf.

Norbert Anger

Diesem Komponisten waren gleich mehrere Stücke gewidmet, und es war ein guter Aspekt des Programms, auch die Romantiker selbst – im Original oder in Reimanns Bearbeitung – zu Wort kommen zu lassen, dort erscheint nämlich vieles in solch einem Kontext ebenfalls ganz schön radikal. Sehr spät, kaum weniger intensiv ging die Reise noch zu Franz Schubert, dessen erstes Streichquartett in aller Knappheit schon ein dezidiertes Bild des Komponisten gibt – voller Ideen, aber auch schon im schuberttypischem Fortgang der Gedanken. Blitzte dann am Ende des überwiegend große Themen verhandelnden Konzerts nicht doch noch so etwas wie Leichtigkeit und hinter den Dreivierteltakten versteckter Humor auf? Das „Dezett“ von Reimanns Schubert-Metamorphosen (Leitung: Petr Popelka) war jedenfalls die größtbesetzte, aber gleichsam sanfteste Rundung des Abends – der anwesende Komponist zeigte sich ebenso erfreut und bewegt wie das zur späten Stunde enthusiastisch applaudierende Publikum.

  • Das Konzert wird am Dienstag, 26.11.2019, 20.05 Uhr bei MDR Kultur und MDR Klassik übertragen.

Fotos (c) Markenfotografie

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